Soziologe über Männer und Familienpolitik: "Wir brauchen härtere Maßnahmen"
Der Väteranteil beim Elterngeld ist laut Studie gestiegen. Doch trotz des Fortschritts halten die meisten jungen Männer am Ernährermodell fest, kritisiert Soziologe Bertram.
taz: Herr Bertram, was soll ein junges Paar tun, das beides haben möchte - Kinder und Karriere. Soll es sich auf die Segnungen der Familienpolitik verlassen? Oder lieber einen Ehevertrag schließen, mit dem es seine Arbeitsteilung regelt?
Hans Bertram: Einen Vertrag kann ich nicht empfehlen. Dafür ist der Alltag mit Kindern viel zu wenig planbar. Wenn das Kind erst da ist, fühlen sich die Eltern vielleicht unterschiedlich verantwortlich. Und möchten das ganz anders umsetzen, als vorher verabredet.
Also müssen sie sich darauf verlassen, dass die staatliche Familienpolitik ihnen Freiräume schafft?
Nein, auch das ist im Grunde nicht möglich. Wenn man sich nur auf die Politik verlässt, kann das leicht schief gehen. Ich würde schauen, dass ein soziales Netzwerk vorhanden ist, auf das man sich stützen kann, also Freunde, Verwandte, Kollegen. Welcher Kindergarten hat schon abends offen, wenn man mal ins Kino gehen will?
Die neuesten Zahlen des Statistischen Bundesamtes zur Familie zeigen eine rasante Veränderung - mehr Kitas, mehr Elterngeld, mehr Papas im Erziehungsurlaub. Haben die familienpolitischen Initiativen der letzten fünf Jahre auch die Qualität von Familie verändert?
Ich sehe es eher andersherum. Die Politik hat auf den Wandel der Lebensrealität von Frauen und Familien reagiert. Familien haben sich schon seit Mitte der 80er Jahre deutlich verändert. Die Erwerbsquoten von Frauen in Deutschland etwa gleichen sich seitdem denen anderer Länder an. Die Familienpolitik kommt dem eher langsam nach.
Sieht die alte Rollenverteilung nicht immer noch so aus: Der Staat ist nur vormittags für die Kinder zuständig, die Mütter müssen sich danach um sie kümmern? Sind wir also wirklich schon so modern, dass sich die Mütter aus ihrer traditionellen Aufgabe in der heiligen Familie befreien konnten?
Leider noch nicht - obwohl viele Mütter das wünschen. Die Vormittagsschule ist das Ergebnis einer Lebensweise aus dem 19. Jahrhundert, als Kinder vormittags lernten und nachmittags in der Landwirtschaft mitarbeiten mussten. Andere Staaten haben dieses Arrangement längst überwunden. Wir fangen gerade erst an damit. Wo in Deutschland gibt es bereits flächendeckend Ganztagsschulen? Wo finden Sie gute Kindertagesstätten für unter 6-Jährige?
Was muss die Politik ändern, damit Beruf und Familie auch dann vereinbar sind, wenn man sich jung für Kinder entscheidet?
Hier ist unsere Gesellschaft furchtbar rückständig. Es fehlen Angebote für Wiedereinsteigerinnen, das gibt es in den Hochschulen und Fachschulen praktisch gar nicht. Wenn sie mit Mitte 30, wenn die Kinder größer sind, in den Beruf zurückkehren wollen, brauchen sie aber Angebote, um etwas ganz Neues lernen zu können.
Für die Frau mag es plausibel sein, dass sie der Politik voraus ist. Bei den Männer doch wohl nicht. Nur eine winzige Gruppe von Männern kümmert sich länger als zwei Monate um ihre Kinder.
Die Mehrzahl der jungen Männer hält an dem typischen Ernährermodell fest. Es gibt einfach noch zu viele Gratifikationen für das alte Modell. Bleiben sie dabei, geht es der Familie finanziell gut - und sie sind angesehen. Es gibt im Augenblick noch wenig Anreize für Männer, für das Kind da zu sein. Die Männerrolle ist stark davon abhängig, dass die Männer gegenüber Frauen gerne attraktiv sind.
Wieso ist dieses Männerbild so stark?
Vielleicht weil es Hunderttausende Jahre alt ist, ich weiß es nicht. Wir haben noch keine Vision, wie die neuen Männer wirklich aussehen. Sind sie im wesentlichen Ernährer - mit Einschüben von Fürsorge. Und man weiß ja auch nicht so genau, was die Frauen eigentlich wollen.
Auch die Frauen halten am alten Männerbild fest?
Die wollen den erfolgreichen, berufstätigen Mann. Wenn man sich das Heiratsverhalten anguckt, die heiraten eher nach oben in die sozialen Positionen hinein. Wir haben unglaublich viel darüber nachgedacht, wie eine moderne Frauenrolle aussehen könnte, wie sie Fürsorge für Kinder und auch für Alte mit ihrer Berufskarriere in Übereinstimmung bringen kann. Aber das Interessante ist, dass wir nie über die Männer reden.
Herr Bertram, der Mann ist seit Jahrzehnten Objekt scharfer Kritik.
Kritik gab's reichlich, ja. Aber wo ist das positive Bild für den Mann? Ist er jetzt das Anhängsel der Frau, sozusagen ihr Gehilfe, weil die Haushalt eh besser kann? Der französische Soziologe Jean-Claude Kaufmann hat das an 40 Ehepaaren mit exzellenter Ausbildung untersucht. Nach einem Jahr war die Rollenteilung, obwohl beide berufstätig sind, total traditional. Warum? Sie macht den Schrank auf und sieht, bei ihm ist die Wäsche nicht so ordentlich wie in ihrem Teil. Nach einer Woche ist völlig klar, wer den Schrank einräumt. Kaufmann kommt zu dem Schluss, dass man gegen 700 Jahre Kultur offensichtlich nicht ankommt.
Wie ließe sich das trotzdem ändern?
Ich denke, der Wandel wird nicht über die Familienpolitik erreicht, sondern er vollzieht sich über den Arbeitsmarkt.
Wie geht das?
Die Vorstellung, lebenslang im gleichen Job oder in der gleichen Position zu bleiben, löst sich zunehmend auf -- ganz ohne Familiendiskurs. Für Frauen war der unterbrochene Karriereverlauf immer eine Selbstverständlichkeit. Für Männer nicht. Für ihn gab es "arbeitslos sein" oder "Beruf haben" - dazwischen war nichts.
Wir bräuchten einen erfolgreichen und prominenten Vorstandsvorsitzenden, der sagt: 'So, ich gehe jetzt für eineinhalb Jahre raus'?
Wir brauchen sogar den Vorstandschef, der einfach sagt: 'Jetzt bin ich kein Chef mehr, jetzt schiebe ich den Kinderwagen.' Der Ehemann der ehemaligen Außenministerin Anna Lindh in Schweden ist als Innenminister zurückgetreten, um ihre Kinder in einem Vorort von Stockholm großzuziehen. Können Sie sich so etwas bei uns vorstellen? Ich glaube, bei den Männern brauchen wir durchaus härtere Maßnahmen, sonst werden wir das mit ihnen nie hinkriegen.
Zum Beispiel …
… das, was die Norweger machen. Da bleiben nur die Aktiengesellschaften an der Börse, wo mindestens 40 Prozent beiden Geschlechtes drin sind. Es kann doch nicht sein, dass wir von den jungen Leuten erwarten, dass sie hundertfünfzig Prozent geben und alles hochflexibel mitmachen - aber die ganzen Führungsetagen werden da im bezug auf Familie ausgenommen. Das ist genau das Problem, das was wir mit den Männern haben.
Sagen Sie uns doch mal, wie eine faire Arbeitsteilung einer modernen Familie aussehen kann und wie die gesellschaftlich gestützt sein muss?
Eine faire Arbeitsteilung hängt zunächst mal allein von dem Paar ab, wie es das untereinander aushandelt. Aber die Gesellschaft muss sicherstellen, dass sich dabei nicht immer der Stärkere durchsetzt. Das heißt, wir müssen dafür sorgen, dass Frauenberufe genauso gut bezahlt werden wie Männerberufe. Und wir müssen irgendwie sicherstellen, dass die Wertigkeit der Fürsorge für andere genauso wichtig ist wie der ökonomische Erfolg. Solange es unterschiedliche Gehälter und schlecht beleumundete Fürsorge gibt, ist ein fairer Aushandlungsprozess faktisch ausgeschlossen.
Wenn sie in die Zukunft blicken, vielleicht 30 Jahre, zu welcher Familienform wir uns entwickeln werden? Wie wird die Familie der Zukunft gestrickt sein?
Da gibt es mindestens drei Antwortmöglichkeiten. Erstens werden wir uns stärker zum nordeuropäischen Modell hin entwickeln. Dort hat man inzwischen häufig einen Partner, mit dem man Kinder bekommt -- ohne übrigens unbedingt verheiratet zu sein. Und später hat man einen anderen Partner, mit dem man älter wird. Man hat sozusagen eine sequenzielle Form von Beziehungen in unterschiedlichen Lebensphasen. Denn man kann nicht davon ausgehen kann, dass alle Menschen im Lebensverlauf sich immer gleich entwickeln. Zweitens wird die Ehe nicht mehr die Bedeutung haben wie heute. Drittens wird es wahrscheinlich immer einen großen Prozentsatz von Leuten gibt, die nicht in Partnerschaft leben, sondern alleine. Aus welchen Gründen auch immer.
Lässt sich so ein so komplexes Modell überhaupt politisch absichern?
Es wird natürlich noch eine lange Zeit dauern, weil wahnsinnig viel in den Sozialgesetzen neu gemacht werden muss. Aber ich denke, dass die ökonomische Emanzipation der Frau auf Dauer dazu führt, dass die Form der Ehe, wie wir sie heute kennen, stark an Bedeutung verliert. Wir uns also damit auseinandersetzen müssen, wie wir die Vielfalt der Konstellationen, die sich aus diesen wenigen Entwicklungen ableiten lassen, institutionell gestalten können.
Was bedeutet das?
Dass die Leute subjektiv das Gefühl haben, ihre Beziehungen auch außerhalb von Ehe und Familie entwickeln zu können.
INTERVIEW: CHRISTIAN FÜLLER UND NICOLE JANZ
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