: Soziale Gerechtigkeit ist nicht vorgesehen
■ betr.: Die Neue Rechte im Aus“ von Richard Stöss, taz vom 25. 6. 97
Zuerst einmal, was soll das denn sein, der „Modernisierungskonflikt“? Wir meinen, es gibt ihn so nicht. Das, was hier, „Modernisierung“ genannt wird, ist der längst bekannte grundlegende Prozeß eines mittlerweile in die Jahre gekommenen Wirtschaftssystems – es ist der in kapitalistischen Wirtschaftsordnungen zwangsläufige und deshalb übliche Prozeß der Kapitalakkumulation mit all seinen Folgen. Und das, was vom Autor beschönigend „Konflikt“ genannt wird, sind die aus diesem Prozeß entspringenden Widersprüche, die sich unter anderem im Kampf zweier Klassen gegeneinander äußern – der Kampf der herrschenden gegen die unterdrückte Klasse und umgekehrt. Solche im System unaufhebbaren Widersprüche und Klassenkämpfe gab es und wird es immer geben, solange es ein kapitalistisches Wirtschaftssystem gibt. Die konkreten Erscheinungsformen, in denen sich die Widersprüche äußern und die Art und Weise, wie die Beteiligten miteinander umgehen, ändern sich freilich. Mit einem konnten kapitalistische Systeme allerdings bisher nicht aufwarten: Mit dem Streben nach sozialer Gerechtigkeit. Eine „sozialgerechte Zivilgesellschaft“ ist weder in der Idee vorgesehen, noch in der Praxis von ihnen zu erwarten. Im Gegenteil: Jede „Modernisierung“ verstärkt alte und schafft neue „Ungerechtigkeiten“, welche die einen bezwecken, und gegen die die anderen kämpfen müssen. Die „Marktlogik“ führt auch mitnichten zur „Festung Europa“. Schon wieder trifft das Gegenteil zu. Die „Marktlogik“ führt zu einem weltumspannenden Produktions- und Handelsnetz. [...]
Der Rechtsextremismus hat zu diesen Problemen nichts beizutragen, sagt der Autor. Wie wahr. Was er verschweigt, daß liberale, konservative und sozialdemokratische Bewegungen und Parteien aber auch nichts zur Lösung der Probleme tun. Es ist ja das Merkmal all dieser bürgerlichen politischen Richtungen und eben auch rechtsextremer Bewegungen, daß sie die Folgen und Symptome (wirklich oder vermeintlich) angehen und gleichzeitig die ihnen zugrundeliegende und sie erst erzeugende Wirtschaftsordnung erhalten wollen.
[...] Wir geben gern zu, daß bürgerliche Parteien (liberale, konservative und sozialdemokratische) in „normalen“ Zeiten üblicherweise fähig sind, die zur Verwertung des Kapitals notwendigen politischen Rahmenbedingungen aufrechtzuerhalten und weiterzuentwickeln. Ein Blick in ein beliebiges Geschichtsbuch zeigt jedoch, daß „normale“ Zeiten in modernen industriell-kapitalistisch organisierten Gesellschaften eher die Ausnahmen sind. Und wenn wir uns nicht arg täuschen, dann scheint solch eine Ausnahmesituation – die Bundesrepublik Deutschland seit 1949 – langsam aber sicher zu Ende zu gehen. Die Zeichen stehen auf Sturm. Möglicherweise wird sie bald doch wieder gebraucht – die Alte und ewig Neue Rechte. Wir wagen eine Prognose: Die wirtschaftlichen Eliten (der Autor irrt, wenn er meint, wirtschaftliche und politische Eliten seien dasselbe) in Deutschland werden, wenn es denn opportun ist, nicht zögern, sich erneut einer rechten Mörderbande an den Hals zu werfen. Der Nährboden ist fruchtbarer denn je. Wenn es der Linken nicht endlich ernst wird mit ihrem Anspruch, die herrschenden wirtschaftlichen Verhältnisse grundlegend zu verändern, spielt die Zeit für die Rechte. Wolfgang Maul, Nürnberg
betr.: dito, und „Die neue Konservative Revolution'“ von Wolfgang Gessenharter, taz vom 20.6.97
Der Beitrag von Richard Stöss paßt zu der seit einiger Zeit im Feuilleton zu beobachtenden Tendenz, dem deutschen Rechtsextremismus bis hin zu seiner intellektuellen Variante chronische Erfolglosigkeit zu attestieren und lässig- fahrlässige Entwarnung zu geben (Motto: „Was haben die Linken nur immer mit der Neuen Rechten?“). Stöss als ausgewiesener Kenner der rechten Szene ist solcherlei Gedankenlosigkeit sicher nicht vorzuhalten. Seine Schlüsse sind aber voreilig: Zwar stimmt es, daß die extreme Rechte mit der Wiedervereinigung recht wenig anzufangen, geschweige denn diese in Wahlerfolge umzumünzen wußte. Richtig ist aber auch, daß seit Ende der 80er Jahre die „Begriffs- und die Bilderwelt – und damit die politische Realität“ der Bundesrepublik in zunehmendem Maße „von neurechten Gedanken durchsetzt sind“, wie Wolfgang Gessenharter mit Verweis auf die Asyldebatte festgestellt hat [...] Ob das nun ein Erfolg der Weiß- und Zitelmänner ist, steht dahin – viel wichtiger sind die Konvergenzen zwischen „Mitte“, „rechts“ und „ganz rechts“, die rechtsradikalem Gedankengut in den letzten Jahren die Schleusen in die bundesdeutsche Medienöffentlichkeit geöffnet haben. Der von Stöss angeführte „Problemhaushalt der Nation ... Ausländer, Asyl und Kriminalität“ ist schließlich schon Produkt (und nicht Anlaß!) einer seit Jahren anhaltenden Stimmungsmache von Politik und Medien, deren Gleichklang jugendlichen Schlägern beim „Negerklatschen“ das wohlige Gefühl der insgeheimen gesellschaftlichen Akzeptanz gibt. Das Problem sind eben nicht die Prozentpunkte von Reps und NPD, sondern etwa ein Bundesinnenminister, der bei jeder sich bietenden Gelegenheit – im Verbund mit Presse, Funk und Fernsehen – die Gefahren der multikulturellen Gesellschaft beschwört, so daß schließlich auch der gutwilligste Zeitgenosse den Vietnamesen von nebenan mit Zigarettenmafia, Mord und Totschlag zu assoziieren beginnt. Genau auf dem Gebiet – der ideologischen Konstruktion von Wirklichkeiten – aber leisten Rechts-Intellektuelle ganz Arbeit und bieten Politikern wie Meinungsmachern eingängige Begrifflichkeiten an, die die öffentliche Aufmerksamkeit gegenüber rechtsradikalen Tendenzen unterlaufen und gleichzeitig die gewünschte Wirkung haben. Daß all dies Richard Stöss keine Erwähnung wert ist, stimmt – zusammen mit der eigenartigen Ausklammerung radikaler Vordenker wie Mohler, Rohrmoser und Schrenck-Notzing aus dem neu- rechten Spektrum (“eher Konservative als Rechtsextremisten“ – ja und?) – nachdenklich und zeigt einmal mehr die Problematik eines allzu organisatonsfixierten Ansatzes in der Rechtsextremismusforschung auf. Friedemann Schmidt, Berlin
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