■ Sozialdemokratische Therapie: Gegeneinander
Einen neuen Politikstil hatte die SPD-Spitzenkandidatin Ingrid Stahmer im Falle ihres Sieges versprochen. „Miteinander statt gegeneinander“, banal und eingängig wie so viele Merksätze aus der Gruppentherapie. Geglaubt hat daran so recht niemand, am allerwenigsten die eigene Partei. Jeder gegen jeden zur Unterhaltung aller, lautet der neueste Slogan der SPD. Kaum war der Zeitplan zur Regierungsbildung aufgestellt, wurde er schon wieder versenkt. Als wolle die SPD der Öffentlichkeit beweisen, was dieser schon seit langem dämmert: die neue 23-Prozent-Partei will irgendwie irgendwas irgendwann. Der eine will raus, der andere wieder rein in die Große Koalition. Weil niemand in diesen „Chaostagen“ in der SPD haftbar gemacht werden kann, der Fraktionschef nicht weiß, was der Senator der Presse gesagt hat und welche Rolle die einstige SPD-Spitzenfrau sich zuschreiben möchte, herrscht völlige Narrenfreiheit. Jeder sagt in diesen Tagen, was er will. Denn alle ahnen: In den nächsten vier Jahren wird dafür keine Chance mehr sein. Und ob da ein Gremium einen Beschluß faßt – wen schert's, wenn das nächste Gremium es kippen wird. Hauptsache, die Partei schafft sich Luft, redet und streitet sich frei. Solange, bis die nächste Große Koalition zusammengezimmert ist. Das ist sozialdemokratische Gruppentherapie im Postwahlkampf: „Gegeneinander statt miteinander“. Severin Weiland
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen