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Souveränität vor Einheit

■ Bonn will Souveränitätsfrage rasch regeln / Kohl und Genscher sind sich in ihren Regierungserklärungen einig / Auch SPD-Vogel sieht durchaus Gemeinsamkeiten

Bonn (dpa/taz) - Noch vorgestern schien es, als könne der „Entkoppelungsvorschlag“ des sowjetischen Außenministers Schewardnadse zu neuen Unstimmigkeiten in der Koalition führen - doch schon gestern demonstrierten Kanzler Kohl und sein Minister Genscher wieder eitel Übereinstimmung. Die Bundesregierung will die volle Souveränität Gesamtdeutschlands vor der Vereinigung regeln. Diese gemeinsame Zielrichtung für die weiteren Verhandlungen mit der UdSSR und den drei westlichen Siegermächten zeichnete sich bei den Regierungserklärungen von Kohl und Genscher ab.

Beide gingen auf den Vorschlag des sowjetischen Außenministers Eduard Schewardnadse, die äußeren Fragen erst nach dem inneren Vollzug der Vereinigung endgültig festzulegen, nicht direkt ein. Nach Kohl sprach sich nun auch Genscher für eine Klärung der außenpolitischen Bedingungen ohne Verzögerung aus. Diskutiert wurde betont sachlich, und auch die SPD entdeckte bei der Debatte Gemeinsamkeiten mit den vorgetragenen Positionen. SPD-Chef Vogel sah „Elemente der Übereinstimmung“.

Für Kohl ist die deutsche Einheit immer mehr „Katalysator“ für das Zusammenwachsen Europas. Die europäische Union solle auch nicht unter der deutschen Vereinigung leiden. Genscher erklärte zum ersten Ministertreffen im Rahmen der Zwei-plus -vier-Konferenz, das vereinigte Deutschland dürfe nicht mit offenen Fragen belastet werden. Dies gelte auch dort, wo Übergangsregelungen notwendig seien, wie beim vorläufigen Verbleib sowjetischer Truppen auf DDR-Gebiet. Er vergaß auch nicht, noch einmal die Sicherheitsinteressen der Sowjetunion zu erwähnen. Eine Nato-Mitgliedschaft Gesamtdeutschlands erklärte er aber - ebenso wie Kohl - für unverzichtbar.

SPD-Vogel warnte mit Blick auf den sowjetischen „Entkoppelungsvorschlag“ davor, sich nicht zu einem „Streit über Scheinalternativen“ verleiten zu lassen. Es könne kein Zweifel daran bestehen, daß es auch nach der staatlichen Einigung noch für eine befristete Übergangszeit vertraglich vereinbarte Positionen der Vier Mächte geben werde. Für einen endgültigen Erfolg der Zwei-plus-vier-Gespräche sei aber auch eine deutliche Änderung der Nato-Strategie notwendig.

Deutliche Worte kamen vom stellvertretenden SPD -Fraktionsvorsitzende Horst Ehmke: Es sei unrealistisch, daß schon bis zum Herbst eine Einigung über die Ablösung aller alliierter Vorbehaltsrechte erreicht wird. Es sei deshalb „töricht“, den Schewardnadse-Vorschlag einfach „blind“ abzulehnen. Redner der SPD argumentierten weiter, in der Regierung gebe es unterschiedliche Konzepte: Während der Kanzler bewußt eine „Demütigung“ Moskaus in Kauf nehme, wolle Genscher der UdSSR helfen, das Gesicht zu wahren.

Auch die Grünen bezeichneten den Schewardnadse-Vorstoß als nachdenkenswert. Moskau könne es nicht akzeptieren, daß die Nato unangetastet bestehen bleiben solle, während der Warschauer Pakt zerfalle. Siehe auch Bericht Seite 8

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