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Sophie Fichtner VorschlaghammerEine vorgeschaltete App soll dafür sorgen, dass Social Media keinen Spaß mehr macht. Ist das befreiend oder frustrierend?

Foto: Niko Kappel

Mein Zeigefinger wandert ziellos über den Handybildschirm, was wollte ich nochmal, dann tippe ich auf das pink-orangene Quadrat in der vierten Reihe. Als wäre ein kleiner Magnet in meiner Fingerkuppe verpflanzt, der jedes Mal auf Instagram klickt, wenn ich die Orientierung zwischen den Apps verliere.

Ich scrolle von Techniktipps fürs Kraulen zu einem Rezept für den saftigsten Zitronenmohnkuchen, eine Freundin schickt mir ein Meme: „Ich hab einen neuen Fahrrad-Witz … aber den Fahrrad ich dir nicht.“ Ich mag Flachwitze etwas zu gerne und muss grinsen.

Nach zehn Minuten schrecke ich auf, mir fällt ein, dass ich eigentlich die Miete überweisen wollte und ich suche nach der Banking-App.

Dann, neulich beim Mittagessen, flucht eine Kollegin, als sie mir etwas bei Instagram zeigen will. „Einmal tief durchatmen“ steht auf dem Display, der blaue Hintergrund füllt sich langsam. Sie hat die App One Sec installiert, die beim Öffnen von Instagram anspringt und einen fragt, ob man sich wirklich in die Foto­fluten stürzen will. Stattdessen soll man lieber entspannt einatmen und ­Instagram im besten Fall direkt wieder schließen. Genau das brauche ich, also lade ich das appgewordene Stoppschild runter.

Die Macher der App geben an, dass sich der Social-Media-Konsum durch den zwischengeschalteten Blocker langfristig um 57 Prozent reduziere. Untersucht haben sie das in einer Studie mit der Universität in Heidelberg und dem Max-Planck-Institut, und über 700 Teilnehmer:innen. Funktionieren soll das Ganze, weil die App uns das Bedürfnis nach einem kurzfristigen Dopaminkick abtrainiere. Denn wenn wir Instagram, Tiktok, Youtube öffnen, seien wir für einen Moment glücklicher, weil unser Hirn Dopamin ausschüttet. Dieses Gefühl merken wir uns und klicken immer wieder, wie mein Magnet­finger, auf diese Apps. Die Atempause soll den sofortigen Dopamin­rush ausbremsen, sodass wir das Öffnen von Instagram nicht mehr mit Glück verknüpfen. Klingt logisch, aber kann das wirklich so einfach sein?

Wenn ich jetzt Instagram auf­mache, wird mir nach der Atemübung angezeigt, wie oft ich in den letzten 24 Stunden versucht habe, die App zu öffnen. Acht Mal, zuletzt vor einer Stunde. In weiß leuchtet ein dicker Balken: „Ich möchte Instagram nicht öffnen“, schüchtern darunter steht: „weiter“, worauf ich ­klicke – ab in den Höllenschlund.

Aber als nächstes werde ich gefragt, warum genau ich die App jetzt brauche. ­Wegen Langeweile, zum Informa­tionen suchen, Nachrichten schreiben, Crush stalken? Ich bin genervt und will doch nur ein ­bisschen ­scrollen. Die Atemübung entspannt mich nicht, sondern weckt zunehmend Aggressionen. Ich springe gerne zwischen Apps hin und her. Insta, Strava, Insta, Maps, Mail, Insta – und jedes Mal soll ich atmen. Genervt schließe ich Instagram, dann halt nicht.

Innerhalb einer Woche habe ich 55 Mal versucht, Instagram zu öffnen, 9 Mal hat One Sec mich daran gehindert, wodurch ich angeblich 27 Minuten gespart habe. Eigentlich wollte ich ja genau das, seltener sinnlos durch anderer Leute Leben scrollen. Aber es fühlt sich weniger nach Triumph an als nach Spaß­polizei. Du hast das Stoppschild in den letzten 24 Stunden schon acht Mal übergegangen, muss das nochmal sein?

Die Atemübung entspannt mich nicht, sondern weckt zunehmend Aggressionen

Vielleicht kann die App mich wenigstens vor der nächsten kulinarischen Enttäuschung bewahren. Der Zitronen­kuchen war wirklich weit von saftig entfernt.

Sophie Fichtner, 28, ist Redakteurin der wochentaz. Jeden Monat erhält sie einen Rat fürs bessere Leben und testet: Ist das Fortschritt oder Bullshit?

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