piwik no script img

Songwriterin Nichtseattle„Wir entwickeln eine bessere Welt“

Katharina Kollmann macht als Nichtseattle Lieder über das richtige Leben im falschen. Ein Gespräch über „Kommunistenlibido“, Marx und Geborgenheit.

Sängerin Katharina Kollmann alias Nichtseattle Foto: Doro Zinn
Interview von Thomas Winkler

taz am wochenende: Frau Kollmann, haben Sie „Das Kapital“ gelesen?

Katharina Kollmann: Nein, nicht komplett. Nur reingelesen. Das ist schon ganz schön trocken.

Ich frage wegen des Titels Ihres neuen Albums: „Kommunistenlibido“.

Ich habe viel über Marx gelesen in anderen Büchern, aber Marx selbst eigentlich nicht. Es geht da auch mehr um ein Gefühl. Es gibt etwas in mir, und ich versuche dem immer wieder Namen zu geben und Klang. Es ist eine große Sehnsucht. Ich wünsche mir sehr, dass es eine gerechtere Gesellschaft gibt, in der Platz ist fürs einfach Sein, für Liebe, für Gerechtigkeit. Das ist so simpel, dass man es sich kaum zu sagen traut. Vielleicht denke ich deswegen, dass das nur ein Gefühl ist. Aber es ist ein sehr starkes Gefühl, vielleicht sogar ein Verlangen.

Und das ist dann die „Kommunistenlibido“?

Ja, der Begriff umschreibt für mich diese Sehnsucht nach einer besseren Welt, die ich zum Ausdruck bringen will, und um die es ja nicht nur in dem einen Song geht, der so heißt, sondern in vielen Liedern auf dem Album. Der Begriff hat mindestens zwei Ebenen: Eine Sehnsucht nach dem Paradies, nach einer besseren Welt. Aber da drin ist auch die Libido, die geprägt ist von den Eltern. Zumindest mein Vater war Kommunist – und hat das Ende des sozialistischen Experiments mit einem gebrochenen Herzen quittiert. Er hat sich sehr angepasst und Sachen gesagt wie: Die Menschen sind einfach zu egoistisch.

Ihre Familie stammt aus der DDR. Standen bei Ihnen zu Hause auch die berühmten blauen Marx-Engels-Bände im Regal?

Nicht bei meiner Mutter, und bei meinem Vater, glaube ich, auch nicht, jedenfalls nicht mehr in den 90er-Jahren. Aber ich denke trotzdem, dass ich anders sozialisiert wurde, dass wir in den 90ern in der Schule bestimmte Themen noch anders besprochen haben als im Westen. Im Freundeskreis meiner Mutter gab es kein dominierendes Milieu, sondern viele verschiedene Berufe. Ich bin mir nicht sicher, aber in der Familie sind bestimmte Werte sicher weitergegeben worden – aber auch gewisse Enttäuschungen.

Viele waren nach der Wende dann ausgerechnet enttäuscht von der Freiheit, die sie sich so sehr gewünscht hatten.

Ich will diese Freiheit nicht bagatellisieren, die ist schon ein Gut, aber ohne eine gewisse Geborgenheit kann man sie nicht genießen. Ich glaube, dass ich sehr frei lebe und auch schon sehr frei aufgewachsen bin. Aber die Geborgenheit fehlt mir, und ich glaube, sie fehlt gerade vielen Menschen. Manchmal denke ich, ich mache in meinem Leben wirklich, was ich will, aber dafür muss ich absurderweise unheimlich fleißig und mutig sein, und es ist schwer, zur Ruhe zu kommen. Einsamkeit ist ein grundlegendes Gefühl. Es gibt zwar immer Momente der Verbindung, vielleicht sogar oft, aber es ist nicht das grundlegende Gefühl. Ich beobachte, dass aktuell sehr viele Lieder über Einsamkeit geschrieben werden oder auch Bücher wie „Allein“ von Daniel Schreiber, das ich sehr interessant und auch symptomatisch finde. Das große Lebensprojekt ist jetzt die Selbstfürsorge, weil die Geborgenheit fehlt. Das meine ich sowohl sozialpolitisch als auch kulturell, das hängt ja ohnehin zusammen. Also: die Kommunistenlibido rennt wie wild rum und sucht nach Geborgenheit. Und ist oft enttäuscht und gibt irgendwie nie auf.

So wie Sie das erklären fragt man sich, warum Marx heute kein Popstar ist …

Ob er ein Popstar ist, ist Marx und mir egal. Aber er – oder zumindest seine Ideen – sind für viele Menschen immer noch sehr präsent. Die Fragen, die Marx gestellt hat, drängen sich doch nach wie vor auf – und das auf vielen Ebenen.

Sehen Sie ein Marx-Revival?

Noch nicht, aber das kommt, glaube ich, bald. Ich beobachte das in meinem Umfeld: Vor ein paar Jahren noch war das gar kein Thema, jetzt fällt der Name wieder öfter. Das sind vielleicht nicht wahnsinnig viele, die sich mit dem Marxismus beschäftigen, und es ist auch nicht so wichtig, wie man das nennt, aber in einem sind sich eigentlich fast alle, die ich kenne, einig: Dass das mit dem Kapitalismus nicht funktioniert. Und mittlerweile sind wir auch wieder so weit vom gescheiterten Experiment DDR entfernt, dass man wieder leichter Kommunismus sagen darf.

Der Kapitalismus ist in der Tat in einer massiven Krise. Aber ich habe nicht das Gefühl, dass die jungen Menschen, die auf die Straße gehen, Fridays for Future zum Beispiel, mit Marx argumentieren. Ist das in Ihrem Freundeskreis anders?

Ich glaube auch, dass da nicht wirklich grundsätzlich systemkritisch gedacht wird. Vielleicht eher so reformistisch. In meinem Freundeskreis ist das ein bisschen anders, wir sprechen vielleicht nicht über Marx konkret, aber über Utopien, die sich auch von ihm ableiten. Es gab schon viele Abende, an denen man sich ausgedacht hat, wie die Welt eigentlich sein sollte. Da spielt Kommunismus eine Rolle, aber auch andere Sachen. Ich denke manchmal, dass wir erst jetzt so langsam das Potenzial für eine bessere Welt entwickeln, weil man erst jetzt anfängt, die menschliche Psychologie ernst zu nehmen, das Unbewusste, Gefühle. Dass man da jetzt viel aufgeklärter ist, auch wenn da noch Luft nach oben ist. Und ich denke oft, wenn alle Menschen sich ein bisschen besser selbst kennen würden und die Rolle ihrer Gefühle in ihren Handlungen, dann würden manche destruktiven Bestrebungen nach Macht und Status komplett hinfällig. Gewalttätige, größenwahnsinnige Autokraten gäb es dann vielleicht nicht mehr. Krasse Ungerechtigkeit, Diskriminierung würden weniger, auch übertriebener Konsum. Also ich glaube bei dem, was mir oft so durch den Kopf geistert, würde man das namentlich und mit Theorien betiteln, spielen wahrscheinlich Marxismus, Psychoanalyse und Feminismus eine Rolle.

taz am wochenende

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Im Videoclip zu „Ein Freund“ sieht man Sie um das Marx-Denkmal in Chemnitz tanzen. Das hat eher etwas von Heldenverehrung …

Vielleicht fand ich das auch einfach ein bisschen lustig. Und es wird ja eh gebrochen, weil ich zu einem Text tanze, der voller Widersprüche ist. Mit diesem Lied, dieser Musik und diesem Text, auch durch die Art des Tanzes, merkt man: das ist keine simple Parole. Das ist kein einfaches: Es lebe des Proletariat! Der Text erzählt von einer Paarbeziehung, in die ich mich aus Lebensangst und extremer Schwermut mal vollkommen zurückziehen wollte. Darin sind beide nicht wirklich glücklich, es wird herumgegrübelt und gefragt, woher das alles kommt, Vater, Mutter oder vielleicht ist auch gar kein Mensch, sondern das System verantwortlich? Und am Ende steht immer der Wunsch, von der ganzen Grübelei befreit zu werden und stattdessen einfach nur einen Traum zu erzählen, also nicht zu denken, sondern nur das Unbewusste sprechen zu lassen, einfach fließen zu lassen. Durch das Video kommt aber noch eine andere Bedeutung von Traum mit rein, nämlich Utopie, was mir gefällt. Und dass ich das Lied „Ein Freund“ nenne und man im Videoclip den Kopf von Marx sieht, das finde ich in dem Zusammenhang auch lustig. Dabei geht es mir, glaub ich, eher darum, die Marx’sche Utopie zu erweitern, dass nicht nur wirtschaftliche Prozesse eine Rolle spielen, sondern auch Liebe und Psyche. Ich gebe zu, das ist alles sehr assoziativ, aber deshalb mache ich ja Kunst, weil ich keine theoretischen Essays schreiben will.

Da haben Sie auch wieder recht. Ihre Texte sind generell sehr assoziativ. Wenn „Ein Freund“ nach einer gescheiterten Beziehung fragt, wer schuld ist, Frau, Mann oder doch das System, das die Menschen deformiert – ist denn die alte Idee, dass das Private immer auch politisch ist, noch relevant?

Ja, unbedingt, das nehme ich so wahr, dass auch in Beziehungen die gesellschaftlichen Umstände immer eine Rolle spielen, dass es für alles immer auch systemische Ursachen gibt. Ob es tatsächlich so ist? Keine Ahnung, aber in den Liedern denke ich darüber nach, was die Gründe für das Scheitern von Beziehungen sind oder für Einsamkeitsgefühle – und einer ist vielleicht, dass es keine richtige Liebe geben kann im Kapitalismus. Ich glaube, für die Liebe muss man sich sehr dem öffnen, was wirklich da ist, so wie es ist. Dem Gegenüber, aber auch den Grenzen und Konflikten. Man muss loslassen. Aber das ist nicht das vorherrschende Klima in einer kapitalistischen Gesellschaft. Wenn alle Lebensbereiche zunehmend marktwirtschaftlichen Gesetzen folgen, wird auch in allen Bereichen in erster Linie gesucht und optimiert. So was wie loslassen und verweilen ist da ziemlich schwer umzusetzen in so einem Klima. Ich glaube, Liebe, das ist wahrscheinlich was unglaublich Rares im Kapitalismus. Das ist aber nur eine Überlegung, ich kann es nicht wissen.

Denken Sie, diese Haltung ist verbreitet in Ihrer Generation? Oder sind die meisten einfach enttäuscht, dass die große Liebe auch mit Tinder nicht nähergekommen ist?

Tinder ist doch der extremste Ausdruck der Kapitalisierung von Liebe. Die Mechanismen des Onlinedatings können doch gar nicht darauf ausgerichtet sein, dass man jemanden für eine dauerhafte Beziehung findet, weil das Geschäftsmodell dann seine Kunden verlieren würde. Und wenn – auch wenn wir es gar nicht merken – überall ökonomische Interessen versteckt sind, dann betrifft das auch unsere Beziehungen und unsere Psyche. In meiner Generation ist das ein riesiges Thema, es wird so viel gesucht und versucht, so viele Konzepte werden ausprobiert, aber ich habe noch selten Leute getroffen, die mit ihrer Situation dann zufrieden sind.

Der Kapitalismus kam ja geradezu überfallartig über die Generation Ihrer Eltern, von denen sich viele nach diesem Bruch in eine innere Emigration zurückgezogen haben, die nun darin mündet, dass viele in Ihrem Alter im Osten Misstrauen gegenüber dem demokratischen System hegen und eher politikverdrossen sind. ­Warum ist das bei Ihnen nicht passiert?

Ich kenne viele, die das beschäftigt, was mit ihren Eltern passiert ist, und die sich trotzdem für Politik interessieren. Ich hab eher das Gefühl, dass die Politikverdrossenheit in der Generation meiner Eltern sitzt. Klar gilt das nicht für alle, die Biografien und Geschichten sind alle immer unterschiedlich. Es gibt aber schon einige, die das Gefühl haben, eh nicht gehört zu werden, und sich dann in die private Absicherung zurückziehen, für sich selbst und die Familie alles in Ordnung bringen wollen und ansonsten in Ruhe gelassen werden wollen. Die haben Ängste, und das macht egozentrisch, das ist normal. Und trotz aller privater Absicherung bleiben viele irgendwie ängstlich. Das ist die Politikverdrossenheit, an die ich denken muss. Ich kann das auch ein bisschen verstehen, würde aber ganz andere Schlüsse ziehen. Utopien wird man da jedenfalls nicht mehr viele finden. Es gibt schon einige, die ablehnend bis sogar wütend reagieren, wenn man sagt: Ey, der Kommunismus war vielleicht gar keine so schlechte Idee. Das verstehe ich aber auch, für viele ist Kommunismus gleich DDR oder so und das wollen auch die wenigsten zurück.

Ist das der Antrieb für Sie, den Kommunismus zu rehabilitieren?

Der muss nicht rehabilitiert werden, finde ich. Einen echten Kommunismus gab es doch noch gar nicht, der ist nie diskreditiert worden. Und wenn ich mich so umgucke: Im Verhältnis zur Idee des Kommunismus finde ich alles, was gerade umgesetzt wird, extrem unvernünftig. Ich bin ja keine Wirtschaftsexpertin, ich kann mir nicht wirklich anmaßen, dazu etwas zu sagen. Aber wir müssen Lösungen finden für so viele Probleme, dass wir uns Gedanken über ein paar radikale Ideen machen sollten. Und anfangen könnte man ja mal mit einem Grundeinkommen.

Die allermeisten Menschen haben vermutlich einen intellektuellen Zugang zu Marx und seiner Theorie. Sie scheinen einen eher emotionalen Zugang zu haben.

Ja, das kann man, glaube ich, so sagen. Ich glaube nicht mal, dass es um Marx selbst geht. Aber er ist ein Symbol. Er steht für eine Idee. Die Idee von einer Welt, in der Platz und Zeit ist, einfach man selbst sein zu können, ohne sich immer wieder beweisen zu müssen. Ich arbeite gern, aber ich hasse es, dass ich mir einen Status erarbeiten muss, mich beweisen muss. Und dass trotz Arbeit immer irgendwie Zukunftsangst bleibt. Dass ich heute gern in meinem Bereich arbeite und auch damit lebe, dass ich wenig verdiene, aber immer die Angst haben muss, dass ich später keine Rente bekomme. Diese komplett verrückte Angst, die Minderwertigkeitsgefühle, die einem das System vermittelt, die sind alle unnötig.

Wenn wir über die politische Dimension von Popmusik sprechen, stellt sich die Frage: Kann ein Lied wirklich wirkmächtig sein?

Ich glaube, so schade es ist, man erreicht dann doch meist nur die, die eh schon derselben Meinung sind. Die können es vielleicht noch nicht so benennen, aber die fühlen es, und die kann man dann bestätigen. Und das ist dann ja auch sinnvoll. Aber ich glaube, die Frage ist falsch gestellt. Ich glaube nicht, dass man sich solche Gedanken macht, bevor man Musik macht. Ich glaube nicht, dass sich jemand erst einmal über die Außenwirkung seiner Musik Gedanken macht, dass er überlegt, was er mit der Musik erreichen will, bevor er die Musik macht. Deswegen macht man doch nicht Musik, ich jedenfalls nicht.

Warum machen Sie Musik?

Um mich mit meinen inneren Themen auseinanderzusetzen. Um meinen Gedanken eine Gestalt zu geben, die schöner ist als die Unordnung, die in mir herrscht. Und ein wichtiger Antrieb ist es, mich selbst mit der Musik zu trösten.

Sind sie darauf vorbereitet, dass Ihre Musik auch für andere ein großer Trost sein könnte?

Das wäre schön, wenn es so wäre. Ich freue mich, wenn ich andere berühren kann, denn Rührung bedeutet, dass sie ähnliche Empfindungen und Wahrnehmungen haben, dass es irgendetwas Verwandtes gibt. Das ist dann verbindend.

Haben Sie keine Angst vor der Verantwortung?

Noch weiß ich ja nicht, wie sich das dann anfühlt. Aber ich habe ja auch nicht deshalb angefangen Musik zu machen, um die Welt zu verändern.

Nicht mal ein klein wenig?

Doch, vielleicht ein kleines bisschen. Tatsächlich bekomme ich von Frauen die Rückmeldung, dass es cool ist, dass ich einfach mache, was ich mache – ohne mich immer rückzuversichern. Und das bestärkt Menschen vielleicht darin, sich zu erlauben, mehr so zu sein, wie sie sind. Es kommt mir wie ein extrem schützenswertes Gut vor, auch mal die möglichen Erwartungen anderer ausblenden zu können – es ist so anstrengend, dem entsprechen zu wollen. Aber manchmal kann ich das auch nicht und ich muss gut darauf aufpassen, bei all dem Druck, der von Social Media und der Performance ausgeht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare