Sondertraining für die WM : Die ganze Hauptstadt ist ein grüner Fußball
Irgendwer muss es den Politikern mal gesteckt haben. Wenn ihr da draußen wirklich verstanden werden wollt, dann müsst ihr reden wie auf dem Platz. Oder auf der Tribüne. Oder zumindest wie auf dem Sofa während der Sportschau. Mit Fußballanalogien haben wir schon das ganze Land erklärt bekommen – Stoiber und Münte sei Dank. Nun geht der eine zurück in die Regionalliga während der andere die Kapitänsbinde (böses Foul der eigenen Leute) abgeben musste. Und im Kanzleramt wird ab heute – wenn überhaupt – Frauenfußball gespielt.
Doch keine Sorge, noch sind nicht alle duschen gegangen, die das Spiel mit dem Ball genauso gut beherrschen wie die pointierte Rede. Denn Berlin hat ja zum Glück nicht nur die Bundesliga, sondern auch eine ambitionierte Amateurriege – das Abgeordnetenhaus mit seinen mehr oder weniger gut aufgestellten Fraktionen. Und da liefen gestern die Grünen auf, weil sie vor Spielbeginn auch mal was sagen wollten. Wozu? Ach ja, wie passend: zur WM.
Gestern waren es noch 200 Tage bis zur Eröffnung der Fußballweltmeisterschaft. Sorgen muss man sich offensichtlich nicht nur über den Trainingsstand der Nationalelf machen. „Die Senatsmannschaft wirkt müde, ausgelaugt und ohne Idee“, sagt Volker Ratzmann, der Fraktionschef der Grünen. Sein Kummer: Die Welt schaut mal wieder auf diese Stadt, und die zeigt sich von ihrer hässlichen Seite. Museen um fünf zu, Baustellen dafür allüberall, und auf dem Weg zum Olympiastadion Pendelverkehr. „Der Senat muss sich endlich an die Arbeit machen“, sagt Ratzmann und meint wohl so was wie: Wowi, ab ins Sondertraining!
Nun sitzt Ratzmann bereits seit 2001 auf der Oppositionsbank, und zu seinem Job gehört es eben, dann und wann mal zu holzen. Schließlich will er spätestens 2006 in den Kader und dann selber im Roten Rathaus mitkicken. Mit wem, ist noch nicht so ganz klar. Aber das ist ein anderes Thema. Jetzt geht es erst mal um die „Abschlussschwächen“ des Senats vor dem großen Fußballfest.
Berlin soll schließlich als Stadt gewinnen, wenn die Fans kommen. Und da wäre auch schon das erste Problem: Wohin mit ihnen, wenn sie gerade mal nicht im Stadion sind? Die Grünen wollen für sie die Straße des 17. Juni während der WM autofrei halten. Im Senat hingegen will man noch ein bisschen darüber nachdenken. In der Senatsverwaltung würden, so die Grünen, die Bälle noch etwas unsicher im Mittelfeld hin- und hergeschoben.
Wir sprechen von den Grünen, und deshalb macht Ratzmann den Konter gegen die Senatsmannschaft natürlich nicht allein – Männersport hin oder her. An seiner Seite hat Felicitas Kubala, sportpolitische Sprecherin der Fraktion, den Part übernommen, 23 Verbesserungsvorschläge vorzulegen, um Berlin „in WM-Form“ zu bringen. Fußballinteressierte ahnen, dass das nicht irgendeine Zahl ist. Denn jeder gute WM-Kader, weiß Ratzmann, hat 23 Spieler.
Doch ab da wird es schwierig – und irgendwie merkt man, warum die Fußballsprache in der deutschen Politik wohl doch eher die Domäne kantiger Sozialdemokraten und provinzieller Christdemokraten bleiben wird. Für ein Abfallkonzept zum Beispiel, das bislang fehlt, sucht man in der Welt des Fußballs wohl vergeblich eine Chiffre. Bei einem anderen Problem wollen wir es mal versuchen: Der Ball ist rund, das Spiel hat 90 Minuten, und Bier (nach Vorstellung der Grünen Leichtbier) gehört dazu. Aber es muss auch weggetragen werden. Genau deshalb fordern die Grünen mehr öffentliche Toiletten während der WM.
Heute sind es noch 199 Tage bis zum Anpfiff. So oder so: In Berlin hat man wichtige Spielzeit vergeudet. Korbinian Frenzel