Sommerakademie: Raub gehört dazu
■ Vortrag über Kriminalität in der Stadt
Zu Risiken und Nebenwirkungen des Großstadtlebens scheint die Angst vor Kriminalität zu zählen. Aber: „Bangemachen gilt nicht“, meinte zumindest Dr. Werner Lehne am Dienstag abend in der Evangelischen Akademie. Der an der Hamburger Uni lehrende Kriminalitätsforscher wollte aufklären, wie wenig „subjektive Unsicherheitsgefühle“ auf „objektiven Risiken“ basierten.
In seinem Vortrag analysierte Lehne zunächst die Kriminalitätsentwicklung in Hamburg, um festzustellen, daß eine von den Medien gern propagierte „Kriminalitätsflut“ tatsächlich nicht stattgefunden habe. Eigentlich sei der hanseatische Durchschnittsbürger sogar „wenig gefährdet“. Zumindest solange er nicht zu den Sympathisanten gesteigerten Alkoholkonsums zählt – Straßenraub nämlich erscheine häufig in Form von „Zechanschlußrauben“. Ob diese Vokabel nicht selbst schon ein Verbrechen wider die Semantik darstellt, blieb allerdings ungeklärt.
Stattdessen widmete Lehne sich der Frage, wie sich Kriminalitäts-Rückgänge erzielen ließen. Mit dem Ergebnis: Zumindest nicht kurzfristig durch eine oft geforderte Verstärkung des Polizeiapparates. Vielmehr seien Verbrechen „notwendige Begleiterscheinungen einer offenen, demokratischen Gesellschaft“. Er empfahl deshalb eine, leider wenig Neues offenbarende, „pragmatische Strategie der Risikobegrenzung“: die Verbesserung technischer Kriminalitätspräventionen, mehr Versicherungsschutz und „Verhaltensanpassungen“ (bei Angst vor Handtaschenraub eben keine Handtaschen tragen). So einfach ist das.
Im folgenden ging es vor allem um das Unsicherheitsgefühl in der Großstadt. Lehne wies nach, daß dieses nur lose mit objektiven Risiken verbunden sei. Eher würden persönliche Angstvorstellungen auf das großstädtische Lebensumfeld projiziert. Im schlimmsten Fall könnte das zu einer „Logik der Trennung zwischen Anständigen und Störern“ – drohendes Beispiel: USA – führen. Dem könne dadurch entgegengewirkt werden, daß Bedürfnisse sogeschimpfter „Störer“ Berücksichtigung finden. Gleiches Recht für alle. Recht hat er.
Zum (zumindest für den Autor) erheiternden Abschluß wurde der Experte mit zwei diffizilen Fragen konfrontiert. „Wie hoch ist der Ausländeranteil bei der Beschaffungskriminalität?“, wollte ein Freund ausgefallener Fakten wissen. Ein anderer war sich nicht zu schade für folgende Schwammigkeit: „Warum wird überhaupt geklaut?“. Lehnes rhetorisch raffinierter Konter: „Warum ißt einer gern Schokolade und der andere nicht?“
Christian Schuldt
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