Somalische Piraten kapern Rüstungstransport: Panzer auf hoher See
Als der ukrainischer Frachter "Faina" in die Hände somalischer Piraten fiel, hatte er Waffen und 30 russische Panzer an Bord. Jetzt rätselt man, wer sie bestellt hat.
Somalia hat keine Zentralregierung mehr, seit Rebellen 1991 Militärdiktator Siad Barre stürzten und sich danach zerstritten. Das nördliche Drittel spaltete sich damals als "Republik Somaliland" ab, im Rest des Landes herrscht Bürgerkrieg. Seit einem Einmarsch Äthiopiens Ende 2006 regiert in der Hauptstadt Mogadischu eine Übergangsregierung unter Präsident Abdullahi Yusuf. Er kontrolliert zugleich die Autonomieregierung seiner Heimatregion Puntland, das nordöstliche Drittel des Landes. In Mogadischu und dem südlichen Drittel Somalias bekämpft diese Regierung radikale Islamisten, die in Mogadischu bis zu Äthiopiens Einmarsch regiert hatten. Vor wenigen Monaten nahmen die Rebellen den südsomalischen Hafen Kismayu ein, und weiter nördlich sind viele Hafenstädte unter Kontrolle lokaler Milizen, die sich durch Seeräuberei finanzieren. Bisher sind dieses Jahr 69 Überfälle von Piraten auf Schiffe im Meer vor Somalia registriert worden.
Im Rahmen der Anti-Terror-Operation "Enduring Freedom" überwachen die Kriegsmarinen der USA und europäischer Länder Somalias Küsten. Wegen der zunehmenden Seeräuberei sollen sie jetzt auch Piraten bekämpfen. Für eine politische Stabilisierung Somalias interessiert sich die internationale Gemeinschaft derzeit nicht. D.J.
Ein Mann in Wickeltuch und langärmligem Hemd winkt von einem kleinen Schnellboot aus den riesigen US-amerikanischen Marineschiffen zu. Ein anderer Mann in Jeans hebt sein Maschinengewehr hoch, wie zum Gruß. Auf den ultramodernen Kriegsschiffen grüßt keiner zurück. Das Schnellboot fährt an ihnen vorbei bis zum ukrainischen Frachter "Faina". Kisten mit Essen und Thermosflaschen mit Wasser werden an Bord gehoben. Kurz danach rast das kleine Boot zurück an die somalische Küste.
In den Küstengewässern vor Somalia ist seit mehr als zwei Wochen eine absurde Szenerie zu beobachten. Eine Gruppe somalischer Piraten hatte am 25. September die "Faina" gekapert, ein Schiff aus der Ukraine, wie es immer wieder vor Somalias Küsten passiert. Piraterie ist an sich nichts Neues entlang der 3.000 Kilometer langen somalischen Küste. Allein dieses Jahr sind mindestens 69 Schiffe gekapert worden, darunter große Öltanker. Aber noch nie war die Ladung so explosiv wie die auf der "Faina". Zur großen Überraschung der Piraten hatte dieses Schiff mehr als dreißig Panzer und andere Waffen an Bord.
Die Waffen sind offiziell für Kenias Militär bestimmt und sollten im kenianischen Hafen von Mombasa abgeliefert werden. Die Piraten besetzten das Schiff, kurz bevor die kenianische Marine es erreichte, um es nach Mombasa zu eskortieren. Die Freibeuter erklärten dann aber, aus den Frachtpapieren gehe hervor, dass die Waffen in Wirklichkeit nicht für Kenia sind, sondern für die Autonomieregierung von Südsudan. Das wird von südsudanesischen Politikern bestätigt, von Kenias Regierung allerdings heftig bestritten. Es wäre eine gigantische Aufrüstung in einer sehr instabilen Krisenregion.
Seitdem haben der Westen und vor allem die US-Amerikaner Angst, dass die Piraten die erbeuteten Waffen an islamistische Rebellen verkaufen, die auf dem Festland von Somalia gegen die vom Westen unterstützte Übergangsregierung von Präsident Abdullahi Yusuf kämpfen und in den vergangenen Monaten immer stärker wurden. Um einen solchen Weiterverkauf zu verhindern, haben ein halbes Dutzend US-Kriegsschiffe die "Faina" umkreist. Auch ein russisches Marineschiff liegt in der Nähe, weitere Kriegsschiffe sollen unterwegs sein. Moskau ist sehr verärgert, dass diese Waffen russischer Bauart gekapert worden sind.
Die Affäre "Faina" hat beispiellos hektische diplomatische Aktivitäten in Gang gesetzt. Die EU-Verteidigungsminister beschlossen vorletzte Woche, noch in diesem Jahr eine EU-Marinemission zum Kampf gegen Somalias Piraten aufzustellen; der UN-Sicherheitsrat nahm vergangene Woche eine von Frankreich eingebrachten entsprechende Resolution an. Die Nato gab letzte Woche grünes Licht, um gekaperte Schiffe mit Gewalt zu befreien. Die französische Marine hat dieses Jahr schon zweimal Piraten private Segelbooten abgenommen und ihre Besatzungen befreit. Die Piraten wurden festgenommen und nach Frankreich gebracht, um sie vor Gericht zu stellen.
Täglich wird nun mit einer militärischen Konfrontation um die "Faina" auf hoher See gerechnet. Das Schiff dümpelt in Sichtweite der somalischen Küste nahe dem Ort Hobyo, aber landen kann es nicht. Die Piraten verlangen vom Eigentümer des Schiffes 10 Million Dollar - ursprünglich lag die Forderung bei 35 Millionen. Der Eigentümer, die Kommandanten auf den ausländischen Kriegsschiffen und die Piraten sind ständig telefonisch miteinander in Kontakt. Aber auch ohne Telefon wird kommuniziert, weil die Schiffe alle in Rufweite liegen. So hat ein US-Schiffsarzt die Besatzung der "Faina" untersucht. Denn kurz nachdem die Piraten den Frachter in der Hand bekommen hatten, starb einer der Seeleute an einer Krankheit. An einem Morgen erschien die Besatzung in kurzen Hosen und freiem Oberkörper an der Reling. Der US-Arzt spähte durch ein Fernglas, um per Ferndiagnose die Gesundheit der Männer zu kontrollieren. Er sah nichts Außergewöhnliches und die Piraten ließen die Seeleute zurückkehren in die Kühle des Schattens.
Piratenkollegen und Familienmitglieder bringen regelmäßig Nahrung und Wasser in Schnellbooten von Somalia auf die "Faina". Offensichtlich haben die Seeräuber viel Unterstützung auf dem Festland. "Selbst Funktionäre der Behörden, vor allem in der autonomen Region Puntland, sind an der Piraterie beteiligt", erzählt Abdulqadir Muse Yusuf, Staatssekretär für die Häfen von Puntland, der Nordostregion Somalias, die eine eigene Autonomieregierung hat und aus der auch Somalias Präsident Abdullahi Yusuf kommt. "Sie helfen mit Lebensmitteln und Waffen und im Tausch erhalten sie ein Teil des Lösegeldes." Er erklärt auch, dass die Behörden zwar regelmäßig Piraten zur Fahndung ausschreiben. Aber rätselhafterweise wurde nur selten einer verhaftet.
Jeder kennt jeden in Somalia, und in Puntland weiß man genau, wer die Piraten sind. Aus der Hauptstadt Mogadischu berichtet eine Lehrerin: "Hier zirkulieren Gerüchte, dass ein Teil des Lösegeldes an Präsident Yusuf geht. Der benutzt es, um sich Loyalität zu kaufen. Seine Armee und die äthiopischen Truppen, die ihm helfen, verlieren ein immer größeres Gebiet an die Islamisten."
Die Piraterie bringt auf jeden Fall Geld nach Somalia, eines der ärmsten Länder der Welt, dessen Bevölkerung mehrheitlich ständig hungert. Vor der Küste in der Nähe des Puntland-Ortes Eyl liegen verschiedene gekaperte Schiffe, während die Piraten mit den Eigentümer über Lösegeld verhandeln. "Piraten kaufen Autos, heiraten mehrere Frauen und bauen große Häuser. Die Nachfrage nach Baumaterialien ist wahnsinnig gestiegen", erzählt Mohammed, ein Einwohner von Eyl. Er weigert sich, seinen Nachnahmen zu nennen aus Angst vor Rache. "Sie versprechen auch, Schulen und Straßen zu bauen. Aber vorläufig ist davon nichts zu sehen, außer das früher eine Tasse Tee hier ein paar Groschen kostete und jetzt 75 Eurocent." Man schätzt, dass im diesem Jahr somalische Piraten ungefähr 30 Millionen US-Dollar an Lösegeld kassiert haben.
Doch die Hilfe für die mehr als drei Millionen Somalier, die den Kämpfen entflohen sind und völlig mittellos als Kriegsvertriebene unter freiem Himmel entlang der Straßen leben, wird durch die Piraterie noch schwerer, als sie es ohnehin ist. Große Ladungen Nahrungshilfe können nur mit Schiffen nach Somalia gebracht werden. Die meisten Schiffseigentümer weigern sich aber, seit verschiedene Frachter mit Hilfsgütern gekapert wurden. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon warnte kürzlich: "Marineschiffe aus den Niederlanden, Frankreich, Dänemark und Kanada haben kurze Zeit die Nahrungsschiffe bis in den Hafen von Mogadischu begleitet. Kanada hört damit Ende Oktober auf und noch hat kein anderes Land angeboten, den Schutz zu übernehmen. Ohne Eskorte werden die Schiffe nicht ankommen und ohne Hilfe werden noch mehr Menschen sterben."
Durch die Kaperung der "Faina" gewinnt Somalias Piraterie internationale Aufmerksamkeit. Militärexperten meinen, dass nur ein überraschender Kommandoangriff das Schiff befreien kann. Aber die Piraten haben gedroht, die "Faina" in die Luft zu jagen, wenn sie angegriffen werden. Und sie wollen bis zum letzten Mann kämpfen. Jennifer Cooke vom US-amerikanischen Zentrum für Strategische und Internationale Studien meint, dass am Ende die Piraten mit dieser Haltung lebendig davonkommen dürften. "Ihre selbstmörderische Haltung sorgt dafür, dass die Marineschiffe zwar in der Nähe liegen, aber wenig machen können außer warten - bis die Verhandlungen mit dem Schiffseigentümer abgeschlossen sind."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!