■ Solschenizyns Talk-Show: Kurier des Zaren live
Berlin (taz) – Alexander Solschenizyn (76), im Mai des vergangenen Jahres aus dem Exil nach Rußland heimgekehrter Dissident und mit dem Nobelpreis ausgezeichneter Schriftsteller, kämpft gegen sein Verschwinden in der Bedeutungslosigkeit. Dabei scheut der Autor („Archipel Gulag“, „Das rote Rad“), der einst bei jeder Gelegenheit gegen die materialistische populäre Kultur des Westens wetterte, nicht davor zurück, sich des Fernsehens zu bedienen. Seit September 1994 hat Solschenizyn eine eigene vierzehntägliche Talk-Show im russischen Fernsehen. Sendetermin: direkt nach den Abendnachrichten.
Dort pflegt der christlich-paternalistisch gesinnte Autor, wie die New York Times jetzt berichtete, gegen die „Schamlosigkeit“ der Gesellschaft und die „Verrottung des politischen Systems“ zu predigen. Der Nationalist Solschenizyn tritt für eine starke russische Zentralmacht ein und wünscht sich statt der GUS eine „slawische Union“. Freilich werden Solschenizyns Talk-Show-Gäste (durchgehend Männer, meist Politiker oder Journalisten) dabei ständig unterbrochen und kommen kaum zu Wort.
Weil die Sendung überwiegend aus den Monologen des moralischen Fundamentalisten besteht, soll das Konzept der zwanzigminütigen Prime-time-Talk-Show (respektable Einschaltquote 12 Prozent) jetzt verändert werden. Keine Gäste mehr, nur noch Solschenizyn. „Die Phase, in denen er anderen die Gelegenheit zu sprechen gab, ist vorbei“, sagte dazu die Ehefrau des Dichters, Natalia, in einem Telefoninterview mit der New York Times.
Kritiker des Talkmasters finden dies nur konsequent. Der Kommentar des Autors und Literaturkritikers Viktor Jerofejew („Moskauer Schönheit“): „Es ist besser, ihn reden zu lassen, als wenn er sein schlechtes Russisch schreibt. Solschenizyn ist zu seinen Wurzeln zurückgekehrt als das, was er im Herzen immer war – ein Provinzschullehrer.“ kotte
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