bücher aus den charts : Soloalbum 2004
Simon Peters ist eine arme Sau. Nichts Böses ahnend läuft er bei Ikea herum, um einen Sessel zu erwerben, und dann bekommt er ausgerechnet hier sein Scheitern mit aller Drastik vorgeführt: durch die unzähligen Pärchen, ohne Kind, in freudiger Erwartung, mit Kind. Allesamt sind sie dabei, ihr Familienglück mit billigen schwedischen Möbeln zu komplettieren. Das Gegenmodell dazu: Simon Peters, 29 Jahre alt, Mitarbeiter eines T-Punkt-Ladens, seit Jahr und Tag ohne Freundin und auch ohne Sex. Ein einsamer Wolf, der Dale Carnegies Buch „Sorge Dich nicht, lebe!“ auf dem Nachtisch liegen hat und dem abends nichts anderes übrig bleibt, als sich mit seinem Angeberfreund Phil hemmungslos zu besaufen.
Immerhin lässt sich mit dem tristen Leben einer so armen Sau ein fast dreihundertseitiger Roman füllen; ein Roman, der ein trüb-fatalistisches Singledasein schildert und dessen einzige Erzählbewegung darin besteht, dass Simon Peters sich in eine Starbucks-Tresenkraft verguckt, diese gewitzt mit zwei Konzertkarten für ein Fanta-Vier-Konzert kennen lernt, dort aber feststellt, dass seine Traumfrau eine ziemliche Prolltusse ist. „Vollidiot“ heißt dieser durchweg vollidiotische Roman, der je nach Gusto so eine Art „Soloalbum“ für Erwachsene oder für ganz Arme ist. Er stammt aus der Feder des 1970 geborenen Comedy-Format-Entwicklers Tommy Jaud und ziert seit seinem Erscheinen im Sommer die Bestsellerliste irgendwo auf den Rängen 10 bis 40 (aktuell Platz 32).
Erstaunlich ist das zum einen, weil Simon Peters Leben so öde ist. Vor allem aber, weil er sich trotz dieser Ödnis zwanghaft witzig und pseudoskurril und zwanghaft idiotisch um alle möglichen Ecken dreht. Schon die erste Seite stellt in dieser Hinsicht eine echte Weiterlesehürde dar. Da fragt sich Simon Peters, ob Ikea für einen wie ihn nicht das Rasierklingenset „Suizöd“ im Programm haben könnte. Oder auch den Strick „Hängan“. Ist das jetzt ein guter Witz? Läuft so was auf den Comedyschienen von RTL, Sat.1 oder ARD? Man weiß es nicht. Aber auf diesem Witzniveau geht „Vollidiot“ immer weiter. Im Fitnessstudio, das eigentlich nur für Schwule ist, wird Simon Peters erklärt, dass er mit seinem Snoopy-T-Shirt signalisiert, dass er auf Doggy-Style-Sex steht. Auf seinem Kanarentrip verabredet er sich an seinem letzten Abend mit einer Animateurin, doch da ihm vorher erklärt wurde, dass Animateure nie Sex mit Touristen haben, holt er sich vor dem Treffen mehrmals einen runter, damit er ja nicht in Versuchung kommt. Ganz klar, was dann passiert. Und in der VIP-Lounge von Schalke 04 blökt Simon, der von Fußball nichts versteht, Rudi Assauer an und verputzt zu allem Überfluss noch dessen weiß-blaue Geburtstagstorte mit der 60 drauf.
Ist das witzig? Lacht man da Tränen, wie es Argon-Cheflektor Hans Christian Rohr bei der Lektüre getan hat? Nein, das ist so amüsant, dass es zu Tode langweilt. Einen Mehrwert stellen höchstens Einblicke in ein Leben dar, das von Berlin-Kreuzberg, Göttingen-Bovenden oder Fürstenfeldbruck gleichermaßen weit entfernt ist, in westdeutschen Großstädten wie Köln, Hannover oder Stuttgart aber Mainstream ist und in dem sich hiesige Singles möglicherweise wirklich wiederfinden.
„Vollidiot“ ist übrigens, auch das nicht uninteressant, eines der letzten Bücher aus dem Argon Verlag, der vor ein paar Monaten von seinem Hauptverlag S. Fischer eingestellt wurde. Der Erfolg von Jauds Buch beweist, dass das Argon-Konzept, mit idiotisch schnell konsumierbaren Büchern für die ewige Zielgruppe der 25-bis 45-Jährigen eine Art KiWi-Verlag der Nullerjahre zu werden, voll aufgegangen ist. Ob das unter dem ehrwürdigen Label von S. Fischer weiter so gut funktioniert, sei einmal dahingestellt. Tommy Jaud dürfte das egal sein. Sein aufgelöster Verlag hat es in letzten Waschzetteln noch angekündigt: „ ‚Vollidiot‘ ist sein erster Roman – und sicherlich nicht sein letzter.“ Das klingt wie eine Drohung.
ALEXANDER LEOPOLD
Tommy Jaud: „Vollidiot“. Argon Verlag, Berlin 2004, 284 Seiten, 12,90 Euro