■ Soll das Leugnen des Holocaust bestraft werden? – Replik: Wir brauchen die Strafdrohung!
Die Diskussion darüber, wie Demokraten sich mit Rechtsextremisten auseinandersetzen sollen, treibt bisweilen erstaunliche Blüten: Schlagworte ersetzen Begründungen, über die Instrumente der Auseinandersetzung wird in einer Weise gestritten, die mehr verwirrt als aufklärt. Das Wichtigste müßte doch sein, Klarheit darüber zu schaffen, daß Rechtsextremisten genau das Gegenteil von dem vertreten und durchsetzen wollen, was unsere auf dem Grundgesetz aufgebaute Ordnung prägt. Es gilt, den Konsens zu festigen, daß sie genau deshalb eine große Gefahr für das friedliche Zusammenleben in unserer Gesellschaft darstellen; daß es nicht nur ein Zeichen von demokratischem Selbstverständnis, sondern auch von menschlichem Anstand ist, für die Opfer von Verbrechen und Diskriminierungen Partei zu ergreifen, nicht aber Entschuldigungen für Täter zu finden oder den Holocaust der Nazis zu relativieren.
An Klarheit in diesen Grundfragen mangelt es bisweilen. Aber auch in der Instrumentendebatte läuft, wie gesagt, manches schief. Obwohl bekannt sein dürfte, daß unsere Verfassung – vernünftigerweise – erhebliche Hürden vor einem Parteiverbot aufgehäuft hat, wird gerade das gefordert; häufig genug von Leuten, die sich gleichzeitig schwertun, die jetzt notwendigen Beschlüsse zu fassen, und sogar davor zurückscheuen, Reps offiziell als „rechtsextremistisch“ zu bezeichnen. Wo Präzision gefragt ist, wird häufig Zögern und Unverbindlichkeit geboten, nicht nur in der Politik. Der jüngst in der FAZ erschienene Leitartikel Eckhard Fuhrs bietet ein anschauliches Beispiel. Fuhr redet im Zusammenhang mit der Forderung nach dem strafrechtlichen Verbot des Leugnens und Verharmlosens des Holocaust von „Erweiterung sogenannter Gesinnungs- und Propagandatatbestände“. Jedem rechtsextremistischen Propagandastrategen wird das Herz bei seiner Forderung aufgehen, daß ausgerechnet hier die Alarmglocken unserer demokratischen Gesellschaft schrillen sollten. Auch sonst sind solche Aritkel eine Fundgrube für Ablenkungsmanöver, seien sie nun auf Ernst Noltes unsäglich peinliches – aber ebenso zweifelfrei strafloses – Bestreiten der Singularität, nicht aber des Holocaust selbst, oder auf Thesen anderer Wissenschaftler bezogen. Götz Aly in der taz vom 19. 4. 94 ist da genauer: Er kennt die Vorschläge zur Präzisierung von Strafvorschriften zwar nicht im Detail, hält aber grundsätzlich wenig von Strafrecht und befürchtet, hier wollten Politiker ihre Verantwortung leugnen und Strafjuristen Aufgaben auflasten, die sie mit ihren Mitteln nicht leisten könnten. Ich folge Götz Aly, wenn er warnt, das Strafrecht an die Stelle von gesellschaftlicher Auseinandersetzung, Repression an die Stelle von dringend erforderlicher Information, Aufklärung, Transparenz zu rücken.
Foto: bonn-sequenz
Eines aber übersieht er bei seiner Ablehnung des Vorschlags, präzise strafrechtliche Verbote gegen Rechts da einzusetzen, wo sie auch nach dem Ultima-ratio-Gebot erforderlich sind: Die rechtsextremen Propagandaexperten – und das sind die Hetzer, die in ihren Versammlungen den Holocaust bestreiten oder verharmlosen, diesen ebenso schrecklichen wie nahezu lückenlos dokumentierten Völkermord der Nazis – sind nicht als Wissenschaftler auf irgendeiner Suche nach Wahrheit; sie vertreten auch nicht als ehrliche Dummköpfe abstruse Meinungen wie etwa die, nicht Brutus habe Cäsar, sondern Cäsar Brutus ermordet.
Ihre Reden und Schriften zeigen vielmehr jedem, der es wissen will, ganz klar, daß diese Herren sehr wohl wissen, was los war. Und sehr vollständig. Die setzen ihre Propaganda präzise und strategisch an: Sie wollen verdrehen und verhöhnen die Ermordeten und die Überlebenden des Holocaust. „Die Deutschen“, so der amerikanische Holocaust-Leugner Fred Leuchter in seinem Münchner Vortrag vom 19. 11. 91, „waren seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges Weltbürger zweiter Klasse. Aufgrund der Gaskammerlüge, die den Deutschen aufgezwungen wurde [...]. 45 Jahre Buße für das deutsche Volk sind genug, zumal für eine Sünde, die nie begangen wurde.“ – Das ist ihr Tenor, zu dem die Handlungsanleitung gleich mitgeliefert wird – leise oder laut, je nachdem, ob sie sich beobachtet und belauscht fühlen: „Befreit euch“, „schlagt zurück“, wehrt euch“, heißt sie. Dieser Tenor knüpft lückenlos an Ideologie und Propaganda der Nazis an, stempelt Opfer zu Tätern, reklamiert für sich die Opferrolle und leitet daraus Rechtfertigung für neue Diskriminierungen, für Aggressionen, für „Zurückschlagen“, für „Verteidigungs- und „Befreiungsschläge“ ab. Mit den praktischen Folgen dieser Hetze sind wir jeden Tag konfrontiert. Aber so wichtig es ist, diesen Sumpf auszutrocknen, wir müssen auch die „Vorbereitungshandlungen“ bekämpfen, die gegen das friedliche Zusammenleben in unserem Staat gerichtet sind. Hier reichen Zivilcourage der Bürger und Ächtung durch die Öffentlichkeit nicht aus. Auch nicht der Hinweis, „die Juden“ oder andere Minderheiten könnten sich ja mit Hilfe von Strafanträgen selbst auf dem Weg von Beleidigungs- oder Verleumdungsklagen mit diesen Hetzern auseinandersetzen. Die strafrechtliche Auseinandersetzung dahin abzudrängen hieße, den rechtsextremen Propagandastrategen schon halb nachzugeben. Sie hätten dann die angegriffene Minderheit schon abgetrennt von der Öffentlichkeit und der die Auseinandersetzuung erspart. Nein, das ist unser aller Sache. Hier gilt es, auch mit präzise gezielten strafrechtlichen Verboten Grenzen zu ziehen, die das „Nein“, die gesellschaftlich-politische Ächtung eines solchen Verhaltens unterstreichen und absichern. Hier liegt auch der Grund dafür, daß wir schon in den 70er Jahren das Billigen, Leugnen und Verharmlosen des Nazi-Völkermords unter Strafe gestellt sehen wollten.
Union und FDP haben das damals nur für das Billigen dieser Verbrechen akzeptiert, nicht für Verharmlosen und Leugnen. Sie haben damit den rechtsextremistischen Propagandisten zusätzliche Betätigungsfelder eröffnet und ihnen die Möglichkeit gegeben, mit etwas zusätzlichem Raffinement auch noch den Rechtsstaat als zahnlosen Tiger vorzuführen: Das rückverweisende Urteil des Bundesgerichtshofs vor Ostern im Falle des NPD-Chefs Deckert ist ja nicht nur wegen mancher unerhört naiv-ahistorischer Bemerkungen in der Begründung eine Einladung zum Mißverständnis für Rechtsextreme. Sondern es eignet sich mit seiner Aufforderung zu Nachermittlungen geradezu als Beweisstück für die mangelnde Qualität und Vollständigkeit der einschlägigen Strafrechtsvorschriften.
Wir legen unseren Vorschlag wieder vor, auch Leugnen und Verharmlosen des Holocaust strafbar zu machen. Es bleibt zu hoffen, daß er im Bundestag bald eine Mehrheit finden wird. Herta Däubler-Gmelin
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