Soll SPD-Dissidentin Metzger ihr Mandat abgeben?: Verrat oder Rückgrat
Dagmar Metzger (SPD) kann eine Kooperation mit der Linken nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren. Die Partei macht Druck. Muss sie deshalb ihr Mandat niederlegen?
Darf Dagmar Metzger das? Sich erst für die SPD in den hessischen Landtag wählen lassen, mit Andrea Ypsilanti als zugkräftiger Spitzenkandidatin in Darmstadt ein Direktmandat erringen, und dann eben diese Andrea Ypsilanti nicht zur hessischen Ministerpräsidentin wählen wollen?
Sie selbst ist sich offenbar nicht sicher. Es könne nicht sein, "dass ein Fraktionsmitglied dann letztendlich querschießt und im Parlament etwas nicht mitträgt, wozu ein Parteitagsbeschluss da ist", erklärte sie am Wochenende - und deutete damit einen möglichen Mandatsverzicht an.
Das hessische Drama weckt Erinnerungen an rot-grüne Zeiten, als der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder um seine Mehrheiten bangen musste und jede große Bundestagsabstimmung zum Krimi geriet - ganz ohne Linkspartei, die es damals noch gar nicht gab.
Erst ging es, im November 2001, um die Entsendung der Bundeswehr nach Afghanistan. Acht Grünen-Abgeordnete wollten dem Einsatz so wenig zustimmen wie Dagmar Metzger heute der Zusammenarbeit mit der Linken, so wenig wie Metzger wollten sie aber gegen den eigenen Parteivorsitzenden votieren, der die Afghanistan-Abstimmung mit der Vertrauensfrage verband. Die vergleichsweise komfortable Mehrheit erlaubte indes einen Kompromiss: Die vier Frauen stimmten gegen ihr Gewissen mit Ja - und ermöglichten den vier Männern einen heroischen Auftritt im Bundestag, wo sie das "Nein"-Kärtchen in dem sicheren Bewusstsein der koalitionspolitischen Folgenlosigkeit zücken konnten.
Dann kam Sigrid Skarpelis-Sperk. Die bayerische SPD-Abgeordnete, die ihren Namen ebenso wie Andrea Ypsilanti der Heirat mit einem Griechen verdankt, wurde gerade zum Symbol der Abweichlerin. Niemand wurde vom Reformkanzler so unnachsichtig verfolgt wie die entschlossene Hartz-IV-Gegnerin. In der Schlussabstimmung über das Gesetzespaket im Dezember 2003 kam es auf ihre Stimme dann allerdings gar nicht mehr an. Zwar stimmten zwölf Koalitionsabgeordnete mit Nein, dafür aber die Opposition fast geschlossen mit Ja. Eigene Mehrheit? Das spielte plötzlich keine Rolle mehr.
Bislang schien das Gewissen eine Angelegenheit von Linksabweichlern zu sein. Jetzt nimmt es erstmals eine Rechtsabweichlerin für sich in Anspruch - und hält sich bezeichnenderweise den Rückzug schon mal offen.
Aber warum ist in der SPD überhaupt die Linke für eine Zusammenarbeit mit der "Linken", die Rechte aber dagegen? Logisch ist das nicht. Hätten die Vertreter der beiden Parteiflügel noch einen Funken strategischen Verstand, dann müsste es eigentlich genau umgekehrt sein.
Die Strategie des linken SPD-Flügels besteht offenkundig darin, auf das Auftreten der Linkspartei mit einer Rückkehr zu Vor-Agenda-Positionen zu reagieren, mit anderen Worten: Die Linkspartei überflüssig zu machen. Warum aber will man mit einer Partei koalieren, die man gerade im Begriff ist zu verdrängen?
Der rechte SPD-Flügel dagegen möchte am Agenda-Kurs im Wesentlichen festhalten und die Partei in der politischen Mitte verankern. Mit anderen Worten: Er möchte am linken Rand des politischen Spektrums den Raum für die Linkspartei offen halten. Auch das ist eine nachvollziehbare Strategie, vielleicht sogar vielversprechender, weil sie wahlarithmetisch die Bandbreite des linken Lagers vergrößert. Warum aber will die SPD-Rechte diese Mehrheit dann nicht nutzen und mit der "Linken" koalieren?
Nicht ganz nachvollziehbar ist auch Dagmar Metzgers Argument, ihr Vater habe einst in Ostberlin unter den Kommunisten gelitten, deshalb könne sie jetzt nicht mit den Postkommunisten zusammenarbeiten. Die "SED-Nachfolger" sitzen ja wohl in den ostdeutschen Landesparlamenten, wo Metzgers Partei gegen Koalitionen mit ihnen nichts einzuwenden hat. Das Hauptargument, das die SPD gewöhnlich gegen die Linkspartei im Westen ins Feld führt, ist deren angebliche Politikunfähigkeit. Die Fähigkeit oder Unfähigkeit politischer Formationen zu beurteilen, ist aber kein Gegenstand von Gewissensentscheidungen.
Letztlich konnten auch die rot-grünen Rebellen ihr Gewissen einst nur deshalb hochhalten, weil es auf ihre Stimmen am Ende doch nicht ankam. Darauf kann Metzger bei der knappen Wiesbadener Mehrheit nicht hoffen. Ihr bliebe tatsächlich nur - der Rückzug.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland