: Soll Bremen so wie Klöckner saniert werden?
■ Arbeiterkammer-Präsident Sörgel: „Es muß viel mehr geschehen.“ / Aber was?
Eine gute Stunde lang beknieten einige Journalisten gestern den Arbeiterkammer-Präsidenten Peter Sörgel und seinen Hauptgeschäftsführer Heinz Möller, doch bitte konkret zu werden – vergeblich. Auf 250 Seiten haben die Fachreferenten der Arbeiterkammer einen „Bericht zur wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Lage der ArbeitnehmerInnen im Lande Bremen 1994“ zusammengetragen, der weitgehend bekannte Sachverhalte abhandelt. Die beiden Chefs der Kammer wollten auf ihrer Pressekonferenz Konsequenzen ziehen. Denn (so erinnerte Geschäftsführer Möller an eine Tatsache, die der bremische Finanzsenator vor zwei Jahren schon erklärt hatte) die ursprünglich im Sanierungsplan angepeilte Reduzierung des Bremer Schuldenberges von gut 17 Milliarden Mark wird nicht stattfinden. Das Sanierungsprogramm droht in diesem Sinne zu scheitern, wenn die Ziele nicht neu definiert werden, erklärte Möller (was längst durch die bremische Finanzpolitik passiert ist). Auch das bescheidene Wirtschaftswachstum in Bremen ist „fast spurlos“ an der katastrophalen Beschäftigungslage vorbeigegangen, sagt Möller – auf 60.000 schätzt die Kammer die Anzahl der Arbeitslosen, 20.000 mehr als die offizielle Statistik ausweist. Und, so Sörgel, „die Wirtschaftskraft des Landes zerrinnt“. Keine Hoffnung also.
Die Konsequenz liegt auf der Hand: „Es muß weitaus mehr geschehen als in den vergangenen Jahren“, sagt Kammer-Geschäftsführer Möller. Das soll nicht bedeuten, daß jemand in der Bremer Politik „in den vergangenen Jahren“ Fehler gemacht hätte: „Schuldzuweisungen sollten vermieden werden.“ Die Kammer-Repräsentanten wollen nicht rückwärts gewandt kritisieren, sondern konstruktiv sein. Also: Was tun!
Aber was? Daß die Bremer Wirtschaftsförderung deutlicher und mehr an die Schaffung von Arbeitsplätzen gebunden werden sollte, fordert die Kammer nicht. Daß Bremen in Bonn „nachverhandeln“ soll zur Verlängerung des Sanierungs-Programms, fordert die Kammer nicht, jedenfalls jetzt nicht. „Noch mehr sparen im Landeshaushalt“, sagt die Kammer, geht nicht. „Patentrezepte“ gebe es nicht, bekennt Sörgel.
„Integrierte regionale Strukturpolitik“ ist das Stichwort des Geschäftsführers Möller. Die „überkommene Wirtschaftsförderung“ und die „isoliert dastehende Wirtschaftsförderung“ seien „Auslaufmodelle der 80er Jahre“, das müsse zusammengeführt werden – alle an einen Tisch. Ein Innenstadtkonzept, das nur darauf setze, Kaufkraft anderswo abzuziehen, greife zu kurz. Eine Bauindustrie wickele die Wohnungsbauprogramme mit billigen Arbeitskräften ab und bilde nicht mehr aus. Die Kammer will nicht fordern, daß Bauaufträge nur noch an Firmen gehen, die sich zur Ausbildung verpflichten, aber es wäre „naheliegend“, beides „in einen Abgleich zu bringen“.
Daß die Wirtschaftskammer als „Dach“ zwischen den Arbeitnehmer- und den Industrie-Kammern da eine Rolle spielen würde, möchte die Arbeiterkammer nicht behaupten. Daß deswegen die eine Million Mark Steuergelder, die Jahr für Jahr der Wirtschaftskammer zufließen, herausgeschmissenes Geld wären, möchte die Kammer aber auch nicht behaupten. „Wahrscheinlich werden wir bedauerlicherweise feststellen müssen, daß hier der Zahn der Zeit darüber hinweggegangen ist“, drechselt Sörgel zum Thema Wirtschaftskammer. Und sein Hauptgeschäftsführer Möller sagt sofort das Gegenteil: „Unverantwortlich“ sei der jetzt von der Bürgerschaft beschlossene Kompromiß, der für die Wirtschaftskammer nur einen „Tod auf Raten“ bedeute.
Die Klöckner-Sanierung gebe ein vorbildliches Modell ab, wie konzertiert gehandelt werden könnte, sagt Sörgel. Das Bild, daß das „Werk Bremen“ gerettet werden müsse wie Klöckner, gefällt ihm. Nur: Bei Klöckner ist nicht die Unabhängigkeit gesichert worden, sondern mit hunderten von Millionen ist ein Werk an auswärtige Besitzer vergeben worden – unter Freisetzung eines erheblichen Anteils der Arbeitskräfte. Also eigentlich auch kein Modell für die Sanierung Bremens. K.W.
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