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Soldaten als Schaffner

Der Einsatz von Militärlastern gegen den französischen Mechanikerstreik in den Pariser Verkehrsbetrieben erregt die Heiterkeit der CGT  ■  Aus Paris Georg Blume

„Die Regierung tut recht daran, alle Mittel einzusetzen, die das Gesetz erlaubt“, sagt Fran?ois Mitterrand, sozialistischer französischer Staatspräsident. „Das ist ja lächerlich, was die Regierung unternimmt“, antwortet Henri Krasucki, Generalsekretär der kommunistischen CGT -Gewerkschaft. Paris lebt in einem sonderbaren Ausnahmezustand.

Seit drei Tagen hat der Mechanikerstreik bei den öffentlichen Pariser Verkehrsbetrieben (RATP) den RER -Vorstadt-Zugverkehr lahmgelegt. Auf Regierungsbefehl kamen gestern erstmals Lastwagen der Armee den verprellten Fahrgästen zu Hilfe. 1.000 Soldaten waren im Einsatz - zum, wie es sich herausstellen sollte, größten Vergnügen der streikenden Arbeiter.

Der RER (Reseau Express Regional) ist eine der modernsten Varianten öffentlichen Nahverkehrs in Europa. Er ist schnell, führt moderne Doppeldeckerwaggons mit äußerst bequemen Sitzgelegenheiten. Millionen Pariser Pendler nehmen ihn täglich, um in einem noch unter der U-Bahn geführten Tunnelnetz ins Stadtzentrum zu gelangen. Die Begeisterung der Fahgäste hielt sich in Grenzen, als gestern Armeelastwagen mit einfacher Zeltplane und hölzernen Bänken vor den RER-Stationen auf Mitfahrer warteten. Sie mußten in der Tat warten, denn offenbar hatten nur wenige den Sonderservice der Armee ernst genommen.

„Alle Mittel“ (Mitterrand) schafften dem Verkehrsproblem wenig Abhilfe. 400 eingesetzte Soldatenlaster mit je 20 Plätzen konnten am Mittwochmorgen maximal etwa 20.000 Fahrgäste befördern. Das freute dann auch die Streikenden. „Die Armee macht uns noch keine Konkurrenz“, bemerkte ein CGT-Mechaniker.

Konkurrenz aber machen sich Sozialisten und Kommunisten. „Verhandeln, nicht unterdrücken“, forderte die kommunistische Tageszeitung 'Humanite‘ auf ihrem Titelblatt. Doch Verhandlungen mit der streikführenden CGT-Gewerkschaft erscheinen für die sozialistische Regierung aussichtslos. 1.000 Francs (etwa 300 Mark) Gehaltserhöhung für alle RATP -Angestellten verlangt die CGT, eine Forderung, die vor allem dazu dient, Verhandlungserfolge lange zu verzögern.

Die Doppelstrategie der französischen Kommunisten geht heute auf. Sie haben sich gegenüber der Regierung im Parlament wohlwollend verhalten, sogar den Abschluß der Haushaltsberatungen ermöglicht, liefern den Sozialisten aber an der Streikfront einen um so härteren Kampf. Die Minderheitsregierung von Premierminister Rocard steckt damit in der Klemme. Sie verliert schon heute einen Teil ihrer Glaubwürdigkeit, da sie nunmehr die KPF zum Sündenbock in den sozialen Auseinandersetzungen stempelt, gleichzeitig aber auf die kommunistische Unterstützung im Parlament und bei den im März stattfindenen Kommunalwahlen baut.

Ein Ende der Konflikte ist nicht in Sicht. Rocard muß wissen, daß ihm die Armee am wenigsten dabei hilft, den Unmut der Streikenden abzubauen. Die Stellungnahme von Fran?ois Mitterrand - der erstmals seit seiner Wiederwahl direkt in eine Regierungsangelegenheit eingreift bestätigt, daß man sich auch im Elysee-Palast Sorgen um das Wohlergehen Rocards macht. Der hat es nun mit Millionen entnervter RER-Fahrer zu tun. Da müssen ihm wohl alle Mittel recht sein.

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