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Archiv-Artikel

zwischen den rillen So weit wie noch nie

Es gilt das gesungene Wort: Van Morrisons neues Album „Pay the Devil“ fügt der Welt dringend benötigte Schönheit hinzu

Er kann sie immer noch erzeugen, die Liebe auf den ersten Ton. Van Morrison singt lässig, undramatisch, seelenruhig, sofort berührend und einschneidend. „There stands the glass / that will ease all my pain / that will settle my brain / it’s my first one today.“ Es sind die Anfangsworte auf „Pay the Devil“, dem neuen Album von Van Morrison. 60 Jahre alt ist der Mann, und er weiß, wie die Trinkerwelt sich dreht: „There stands the glass / that will hide all my tears / that will drown all my fears / Brother I’m on my way.“ Mag die Hand auch zittern, die Stimme zittert nicht.

Van Morrison macht wieder richtig Ernst. In der Disziplin der nichtironischen Selbstbehauptung gegen eine entweder anödend seichte oder aber komplett Amok laufende Idiotenwelt ist er immer noch das zu schlagende Pferd. Mehr als 40 Jahre als Sänger, Songschreiber und Musiker hat der rastlos wandernde Liebes- und Gottsucher auf dem Buckel. Sie stehen ihm bestens.

Gerade mal drei von den 14 Songs dieses Albums hat er selbst geschrieben, und doch ist „Pay the Devil“ eine originäre Van-Morrison-Platte. Es gilt das gesungene Wort: „Big Blue Diamonds“ mag ein Rührstück über vergebliche Liebe sein – aber Gott im Himmel, kann dieser Mann singen! So seelenvoll war noch kein Soul, so betonschuhschwer noch kein Herz, so schmerzgesättigt noch kein Blues. Hätte Jesus so gesungen, sie hätten ihn nicht gekreuzigt.

Hank Williams, Hausheiliger aller traurigen, sehnsüchtigen Liebenden, bekommt von Van Morrison einen glänzenden Country-&-Soul-Anstrich. „Your cheatin’ heart“ rollt mit einer Selbstverständlichkeit, die aufblitzen lässt, was Musik in ihren besten Momenten sein kann: eine Haltung zur Welt, die der Welt gleichzeitig einiges an dringend benötigter Schönheit hinzufügt.

Das gilt, stärker sogar noch, für „Back Street Affair“. Wieder ein Lied über Untreue und Treue; Van Morrison lädt sich die Rolle des Verfemten auf und singt cowboysoulig: „They say you wrecked my home / I’m a husband that’s gone wrong“, und empört sich über die verlogene Bürgerbande: „How can they call our love a back street affair?“ Ich wusste nicht, dass Missmut strahlen kann – o doch, Van Morrison beweist es. Wütend prangert er „the judgement of gossips“ an, dieses Gehetze und Gerüchtegehechle der feigen Mehrheit, und schwingt sich auf, die Unwürdigen für immer hinter sich zu lassen: „I will climb the mountain high / ’til the world will hear me cry / that our love is not a back street affair.“ Besser als Van Morrison kann man solche Berge nicht erklimmen.

„Pay the Devil“ ist ein Glück für alle, denen Van Morrison am Herzen liegt. Dieser suchende Mann, das kann naturgemäß nicht anders sein, ist oft auch ein irrender Mann. Und wie schrecklich – für ihn selbst, aber eben auch für seine Fans – hat Morrison geirrt! Wie hat er uns leiden lassen! Wenn er meinte, er müsse, statt Musik zu machen, wie nur er sie kann, Jazzkoloratur schreien – grauenhaft, einfach nur grauenhaft. Wie viele Platten hat er gemacht, auf denen man ein Stück heiß und innig liebt, zwei, drei so eben noch mag und den Rest, in Todesangst zum Gerät hechtend, unbedingt wegdrücken muss. Auf dem Album „Magic Time“ vom vergangenen Jahr war „Celtic New Year“ das Stück, mit dem Morrison das Glück aus den Trümmern des Unglücks wieder zusammenbaute, gekittet mit Sehnsucht und Glauben und dem Vertrauen, dieses Mal könne die Liebe stark genug sein.

Der Nachfolger „Pay the Devil“ ist ein Album nicht des Songschreibers, sondern des Sängers Van Morrison. Es zeigt ihn in erfreulich konstanter Form. Höhepunkt ist der Schlusstitel, „Until I gain control again“. Leise und zurückhaltend kommt dieses verzweifelte Bekenntnis daher, mit einer Intensität, als grapschten die Dämonen mit Händen nach ihm: „There is nothing that I can hide from you / You see me better than I ever can.“ Es ist nicht sein eigener Text, aber Van Morrison singt ihn so nackt wie niemand vor ihm: „Out on the road that lies before me now / I hope that you will hold me now / Until I gain control again.“

Van Morrison nähert sich einer Grenze, an die sich die meisten nicht einmal im Kino herantrauen würden. Der Mann geht unglaublich weit, und er hat nur eines im Sinn: Liebe. Also, wie William Burroughs sagte: das natürlichste Schmerzmittel der Welt. WIGLAF DROSTE

Van Morrison: „Pay the Devil“ (Exile Music/Polydor)