piwik no script img

So viel Kritik muss sein: Benno Schirrmeister über Zwoisy Mears-Clarkes 1:1-PerformanceGeschunkel im Dunkel

Von einem anderen Menschen im Dunkeln zart aber bestimmt berührt zu werden, sich dann mit sanfter Stimme etwas erzählen zu lassen – das kann sehr angenehm sein, im Privaten. Aber im öffentlichen Raum? Um da nicht übergriffig zu scheinen, müsste dieser Kontakt, diese Lust der Sinne umgestaltet werden, „entprivatisiert und entindividualsiert“, um es mit Hannah Arendt zu sagen – zu einer jener Angelegenheiten zwischen Menschen, aus denen Welt besteht. Es müsste also das Intime in die Sphäre des Politischen überführt werden.

Das genau unternimmt der Tänzer Zwoisy Mears-Clarke: Seine – wahlweise in Deutsch oder Englisch buchbare – 15-Minuten-Performance „How to Greet Like a Jamaican: Step 1“ – bildet den Auftakt zu einem thematischen Block im diesjährigen Schwankhallen-Programm. Unter dem Titel „The Personal Is the Political“ – eine feinsinnige und ungleich klügere amerikanische Variante des zutiefst totalitären Slogans, nach dem das Private das Politische wäre – vereint dieser Spielplan-Schwerpunkt sechs Performances, die Themen aufgreifen, mit denen Intimstes vor aller Augen verhandelt wird.

Das reicht von Vergewaltigung – der sich die Stand-up-Comedy „Asking for it“ der New Yorkerin Anne Truscott Ende November in wütender Schamlosigkeit widmet – bis zum Klimawandel, den die Wiener Performerin Anna Mendelssohn am 1. November öffentlich beweinen wird, in ihrem seit 2010 vielfach gefeierten und preisgekrönten Solo „Cry me A River“.

Zwoisy Mears-Clarkes Auftritt ist unspektakulärer. Im Swissotel am Hillmannplatz – also einem maximal distanzierenden Raum – nimmt er sein auf je Aufführung eine Person beschränktes Publikum im Wortsinn an die Hand. Er geleitet es in einen komplett verdunkelten Konferenzraum im ersten Stock, legt ihm die linke Hand auf die rechte Schulter, dann auch die zweite, modelliert die Körperhaltung, schwingt sich mit ihm ein: Wird dies ein Walzer ohne Ton?

Tatsächlich verführt der in Jamaika geborene Performer, seit Langem in Berlin ansässig, mit sanftem Druck und Streicheleinheiten zu einer halben, später zu noch einer Vierteldrehung, bis er dann zu erzählen beginnt, eine Geschichte aus seiner Kindheit, in der ein Freizeitpark in Kingston (oder war es Negril?) eine Rolle spielt, ein offener Schnürsenkel, ein Sturz, eine Trost- und Angsterfahrung, sehr kurz, sehr kondensiert, sehr persönlich.

Anschließend geht der Weg an die Tür, die vorsichtig geöffnet wird. Das Licht bricht ein. Der Besuch bekommt einen ineinander verdrillten, weißen Schnürsenkel in die Hand gedrückt, wie ein Abschiedsgeschenk, auf dem steht: „Wäre es anders, wenn wir keine Fremden wären?“ Ehrlich gesagt: Eher nein. Aber das ist vermutlich eine Frage, die jeder für sich selbst beantworten muss. Ganz für sich.

„How to Greet Like a Jamaican“, Sa,13. 10., und So,14. 10., jeweils ab 12 Uhr, Anmeldung unter ☎520 80 70 erforderlich

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen