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So selbstverständlich wie das Atmen

■ Improvisationen, Verklärungen, Madonna: alles in dem Film Blue in the Face von Wayne Wang und Paul Auster

Ein Film über den New Yorker Stadtteil Brooklyn und ein Film über Freundschaft, das war Smoke. Und es war ein Film über das Erzählen. Über das Erzählen in Bildern, die, wie die Fotos, die Harvey Keitel als Auggie Wren jeden Tag zur selben Zeit vor seinem Zigarettengeschäft aufnimmt, das Flüchtige und Nebensächliche, das Zufällige festhalten können. Aber Smoke handelte auch vom mündlichen Erzählen, davon, sich Geschichten auszudenken oder welche aufzuschnappen und sie anderen zu berichten, nicht umsonst fungierte Paul Auster neben Wayne Wang als Kofilmemacher.

Wenn das Erzählen glückt, kann man nicht genug davon kriegen. So ging es auch dem Filmteam von Smoke. Die Szenen waren im Kasten, es war noch ein bißchen Geld übrig, und die Arbeit hatte Spaß gebracht. Da hängte man einfach noch eine Woche ran und machte kurzerhand noch einen Film fertig: Blue in the Face. Bei dem konnte man dann, was das Geschichtenerzählen betrifft, dem Affen restlos Zucker geben.

Zunächst aber ist Blue in the Face ein Film als Party. Es muß vor den Dreharbeiten eine große Herumtelefoniererei gegeben haben, jedenfalls sind sie alle, alle gekommen. Und alle, alle erzählen, improvisieren, radebrechen sie Geschichten. Madonna überbringt als singende Telegrafenmaid Grüße aus der Ferne. Jim Jarmusch hält seine letzte Zigarette in Händen und malt sich aus, wie es sein wird, sie zu rauchen. Lou Reed philosophiert darüber, warum er in Stockholm mehr Angst auf den Straßen hat als in Brooklyn. Michael J. Fox, Lily Tomlin, John Lurie und viele andere sind auch dabei, zudem erlebte so mancher Nebendarsteller aus Smoke eine schnelle Karriere und rückte jetzt mehr in den Mittelpunkt, außerdem kommen noch echte Brooklyner Bürger in dazwischengeschnittenen Dokumentaraufnahmen zu Wort. Ein buntes Sammelsurium angerissener, nicht zu Ende gebrachter, realistischer, abgedrehter, rührender, peinlicher Geschichten, das erzählt Blue in the Face in lose verbundenen Szenen.

In den besten Momenten gewinnt dieser Film eine Leichtigkeit, als sei das Filmemachen so selbstverständlich wie das Atmen. Überhaupt hat man immer mal wieder minutenlang das Gefühl, da stundenlang zusehen zu können. Nicht zu fassen, was die Figuren so alles reden! Nur daß Smoke nicht nur ein Film über das Erzählen, sondern auch einer über das Zuhören war. Das gelingt den sich um Kopf und Kragen improvisierenden Selbstdarstellern diesmal eher gar nicht, statt William Hurts Diskretion wie in Smoke herrscht hier die amerikanische Selbstdarstellungseuphorie ungebremst. Und die verklärende Sicht auf das Leben in Brooklyn, die in Smoke gerade noch abgefedert wurde, sie nervt jetzt manchmal. Dirk Knipphals

Abaton und Zeise

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