Skinheads bedienen sich im NVA-Lager

■ Ehemaliges NVA-Gelände am Rande Berlins unzureichend gesichert/ Hallen mit Militärfahrzeugen und Übungsmunition nicht verschlossen/ Jugendliche beobachteten Skinheads beim Abräumen/ Lasche Reaktion der Brandenburger Polizei

Berlin. Ein weitgehend unbewachtes Gelände der ehemaligen NVA am Rande Berlins hat Skinheads bis vor kurzem als Munitionsdepot und Nachschubareal gedient. Noch in der Nacht zum 3. Oktober haben sich dort nach Angaben von Augenzeugen »junge, glatzköpfige Männer mit Bomberjacken und weiten Hosen« offenbar mit Übungsmunition eingedeckt. Die Skins wurden von Jugendlichen dabei beobachtet, als sie »mit Planen verdeckte gewehrähnliche Gegenstände« über den Zaun schleppten. Als die Eindringlinge bemerkten, daß sie beobachtet worden waren, ergriffen sie samt ihrer Beute die Flucht. Das Gelände des 38. Grenzregiments der DDR Henningsdorf befindet sich direkt hinter dem ehemaligen Todesstreifen nahe der Ruppiner Chaussee. Wer Handgranaten, Panzerfäuste, Platzpatronen, Sprengstoffstangen oder gefüllte Maschinengewehrgürtel benötigt, hat dort die freie Auswahl. Völlig ungehindert und unbemerkt kann man sich dort mit der Übungsmunition eindecken. In einer für jedermann zugänglichen Halle lagern außerdem große Mengen von Akten, Lagekontrollbücher sowie sogenannte Schießkladden, aus denen hervorgeht, wer wann warum auf was geschossen hat. Auf dem Gelände stehen außerdem noch unverschlossene Militärfahrzeuge, darunter Kräne, Motorräder und Lastwagen mit Spezialaufbauten.

Innerhalb der mit Benzinkanistern, Munitionskisten und Gerümpel gefüllten Halle haben bereits viele »Besucher« ihre Spuren hinterlassen. Mehrere Kisten wurden aufgebrochen, eine angebrochene Packung Orangensaft zeugt vom Durst der Eindringlinge und ihrer Gewißheit, nicht ertappt zu werden. Die taz wurde am vergangenen Wochenende Zeuge, als sich nachts erneut Personen »zur Probe« auf das Gelände begaben. Selbst die hell erleuchtete Halle lockte keine Wachen an.

Auf die plündernden Skinheads wurden in der Nacht zum 3. Oktober Jugendliche aufmerksam, die auf dem ehemaligen Todesstreifen gezeltet hatten. Der Kasernenzaun zur Westseite ist an mehreren Stellen durchlöchert, ein Eindringen auf das Militärgelände kein Problem. Die Jugendlichen verständigten daraufhin die Berliner Polizei. Doch die erklärte sich nach Informationen der taz für nicht zuständig, da daß Kasernengelände auf dem Gebiet des künftigen Landes Brandenburg liegt. Immerhin wurden die Beamten dort informiert. Als sie den Bericht der Jugendlichen bestätigt fanden, sagten sie eine stärkere Bewachung des Geländes zu. Der niedergetretene Zaun wurde zwar wieder aufgerichtet. Trotzdem war es auch nachdem der Vorgang bei der Polizei gemeldet worden war, überhaupt kein Problem, auf das Gelände einzudringen. Das haben Unbekannte inzwischen erneut getan: Zwischen dem 3. und dem 5. Oktober ist aus der Halle auch eine hüfthohe Granate verschwunden (siehe Foto). Es fehle inzwischen auch weitere Übungsmunition, erklärten die Augenzeugen der taz. Die Wachen stehen nur am Haupteingang des großen Areals bei Henningsdorf. Die Eindringlinge krochen aber hunderte Meter von ihnen entfernt unter dem hinter dem Todestreifen liegenden Maschendrahtzaun hindurch — dort wurde das Gelände bis zum Fall der Mauer von Grenzsoldaten bewacht. CC Malzahn/ Stefan Jenzowsky/ Raul Gersson