Skandal um EU-Kunstwerk: Brüsseler Schwejkiade
Es sollte ein Zeichen für Meinungsfreiheit setzen und Tschechiens Ratspräsidenschaft festlich einläuten. Statt dessen wurde das Kunstwerk "Entropa" zur Humorprobe für Brüssel.
"Klischees sind Hürden, die abgerissen werden müssen." Mit diesen wohligen Worten bewirbt das tschechische Außenministerium ein Kunstwerk, dessen feierliche Enthüllung am Donnerstag im Brüsseler Ratsgebäude den Einstand des EU-Vorsitzes seines Landes markierte. Weiter heißt es in der Mitteilung: "Die Freiheit der Kunst als eine Erweiterung der Meinungsfreiheit ist ein Grundwert der Demokratie."
Wie die Demokratie allerdings reagiert, wenn die Kunst sich ihr Maß an Freiheiten herausnimmt, kann jetzt in Brüssel studiert werden. Denn "Entropa", die Installation des tschechischen Künstlers David Cerny, hat nicht nur zu diplomatischen Beschwerden geführt. Für die Auftragsarbeit hat Cerny auch noch ganze Künstlerbiographien frei erfunden.
Wie ein riesiger, noch unangetasteter Modellbausatz hängt "Entropa" im Atrium des Ratsgebäudes. Jeder der 27 EU-Mitgliedstaaten ist darin durch ein Element repräsentiert, das Cerny eigentlich von Künstlern aus der ganzen Europäischen Union beziehen und einbauen sollte. Das Kunstwerk als europaweite Kollektivanstrenung. Vorgabe war zudem, dass die Länder-Elemente die Klischees, die über das jeweilige Land bei seinen Nachbarn im Umlauf sind, auf ironische Weise wiederspiegeln. Also ist Schweden ein IKEA-Paket. Belgien eine Pralinenschachtel. Dänemark ein Land aus Legosteinen.
Nicht alle kamen so humorig-glimpflich davon. Weil sein Land als Stehklo repräsentiert wird, sah sich Außenminister Bulgariens gezwungen, Beschwerde bei seinen tschechischen Kollegen einzulegen und die Entfernung dieses Teilstücks zu fordern. Deutschland ist ein Netz von Autobahnen, die sich mit ein bisschen Fantasie zu einem Hakenkreuz assoziieren lassen. Tschechien selbst ist ein LED-Display, auf dem Ökologie- und EU-kritische Slogans des Präsidenten Václav Klaus angezeigt werden.
Er habe herausfinden wollen, ob die EU im Stande ist, über sich selbst zu lachen, so Cerny in einer Mitteilung. In der stellt er auch klar, dass sämtliche Kunstwerke der Collage von ihm selbst und zwei Freunden gestaltet worden sind. Die angeblich 27 beteiligten Künstler sind sämtlich frei erfunden. Einen "Helmut Bauer" etwa, der seit 1996 in mehr als einem Dutzend Einzelausstellungen zu sehen gewesen sein soll, gibt es nicht. Für manche Künstler hat Cerny ganze Websiten ins Netz gestellt. Es war in der Kürze der Zeit und mit den wenigen finanziellen Mitteln einfach nicht möglich gewesen, das Projekt getreu den Vorgaben zu verwirklichen, entschuldigt sich Cerny.
Die Lehre aus der Kunstposse liefert der listige Tscheche gleich selbst mit: Europa ist derart fragmentiert, dass dieses kollektive Projekt nur mit Hilfe von fiktiven Künstlern realisiert werden konnte. Außerdem wollte Cerny damit seine eigene Zunft kritisieren: Politische Auftragskünstler seien oft nur scheinbar an einer Kontroverse interessiert. Tatsächlich dienten ihre Arbeiten meist lediglich als repräsentativer Dekor offizieller Räume.
Wie lange und in welcher Form Cernys Kunst-Streich nach dieser Enthüllung jetzt noch die Eingangshalle in Brüssel zieren wird, ist unklar. Bei Bulgarien haben Cerny und der tschechische Europaminister Alexandr Vondra sich schon entschuldigt und angeboten, das Land aus der Installation zu entfernen. Ansonsten ist Vondra aber wohl bereit, "Entropa" bis zum Ende der tschechischen Ratspräsidentschaft im Juni hängen zu lassen.
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