: Sitzblockaden nicht verwerflich
■ Urteile im Blockeprozeß Hunsrück / Landgericht Bad Kreuznach sieht „im Verhalten der Angeklagten nichts Verwerfliches“ / Geldbußen gegen sieben Demonstranten wegen Verstoß gegen Straßenverkehrsordnung
Bad Kreuznach (taz) - Das Landgericht Bad Kreuznach hat zum ersten Mal sieben Demontranten, die sich an einer Blockade des Geländes des Cruise Missiles– Standortes in Hasselbach im November vergangenen Jahres beteiligt hatten, zu Geldbußen von 50 und 100 DM wegen Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung verurteilt. Mit dieser Entscheidung kassierte das Gericht die erstinstanzliche Verurteilung der Bloc kierer, die durch das Amtsgericht Simmern wegen Nötigung zu Geldstrafen bis zu 2.100 DM verurteilt worden waren. In seiner Begründung sagte der Vorsitzende Richter Hartmut von Tzschoppe: „Die Kammer sieht im Verhalten der Angeklagten nichts Verwerfliches.“ Tzschoppe bezog sich ausdrücklich auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVG), das 1985 zur Frage der Strafbarkeit von Sitzblockaden Stellung bezogen hatte. So müßten spätestens nach der BVG–Entscheidung „alle Mittel–Zweck– Relationen berücksichtigt“ werden. Zwar hätten die Angeklagten mit Gewalt genötigt, aber „nötigende Gewalt ist nicht automatisch verwerflich“, so der Vorsitzende Richter. Das bloße Verweilen auf der Fahrbahn während der Blockadeaktion der Angeklagten, darunter drei evangelische Pfarrer, sei von Art und Umfang an der „alleruntersten Grenze“ dessen, was selbst bei „extensivster Auslegung des Gewaltbegriffs nicht vertretbar“ gewesen sei. Die Behinderungen seien nicht schwerwiegend gewesen und mit nachhaltigen Beeinträchtigungen habe man nicht rechnen müssen. Stattdessen hätten die Angeklagten nachgerade darauf gewartet, von den Ordnungskräften weggetragen zu werden. Schließlich seien die Angeklagten bereitwillig auch zur Personalienfeststellung mitgegangen. Auch die Tatsache, daß die Demonstranten trotz Aufforderung durch die Beamten die Straße nicht geräumt hätten, erfüllt für das Gericht nicht den Tatbestand der Nötigung. Schließlich sei das Verweilen durch die Demonstranten, wenn auch in ordnungswidriger Weise, „weiterhin eine Meinungsäußerung“. Dabei müsse man vor allem die Bedeutung des Demonstrationsrechts im demokratischen Staatswesen mitbedenken, meinte Tzschoppe. Scharf kritisierte das Landgericht die Vorinstanz und andere Strafgerichte. Die Argumentation des Amtsgerichts Simmern gehe nach der landgerichtlichen Überzeugung dahin, daß „man Demonstrationen nur noch im abgelegenen Stadion oder bei Nacht durchführen dürfe oder direkt gegen die Entscheidungsträger - wobei man sich fragen muß wie“.
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