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Situation von migrantischen FrauenImmer stärker unter Druck

Seit den Terroranschlägen und der Wahl sinkt das Sicherheitsgefühl migrantischer Frauen. Sie berichten von steigender Gewalt und Hetze gegen Vereine.

Delal Atmaça, Geschäftsführerin des Dachverbandes der Migrantinnenorganisationen (DaMigra e.V.) Foto: privat

Berlin taz | Die Lage sei ernst, berichtet Delal Atmaça, Geschäftsführerin des Dachverbandes der Migrantinnenorganisationen (DaMigra e.V.). „Deutschland ist ein Einwanderungsland, aber anstatt Migration als Potenzial zu sehen, wird sie nur als Gefahr wahrgenommen.“ Diese Stimmung gefährde nicht nur individuelle migrantische Personen, sondern auch konkret zivilgesellschaftliche Organisationen, die feministisch und antirassistisch tätig sind.

Am Donnerstagmorgen lud die DaMigra Pres­se­ver­tre­te­r:in­nen und andere Frauenorganisationen ein, um über die Situation von migrantischen Frauen und ihren Familien anlässlich des internationalen Tages gegen Rassismus zu sprechen. Ein roter Faden zieht sich durch die Berichte: seit dem Erstarken von rechten Kräften und den Anschlägen in letzter Zeit hat sich die Alltagsdiskriminierung und Gewalt gegen sie erhöht.

In plastischer Weise berichten Vertreterinnen, dass migrantische Frauen bestimmte Gegenden in den Randbezirken von Berlin und in den neuen Bundesländern meiden und diese sogar als No-Go-Areas bezeichnen. „Die Zahlen sprechen für sich: Jährlich gibt es rund 22.000 rechtsextreme Angriffe in Deutschland. Das bedeutet: Alle 24 Minuten wird eine rassistisch motivierte Straftat begangen.“, so heißt es in der Presseerklärung von DaMigra.

Es war nie einfach, eine migrantische Frau zu sein

Dieser Rassismus fange bereits im Kindergarten und im Schulalltag an „Kleine afghanische Jungs werden als Terroristen bezeichnet und sie sollen sich im Namen aller Af­gha­n:in­nen für Anschläge entschuldigen“, erzählt Mitra Hashemi von Baaham e.V. Auch schulpflichtige Kinder wollten aufgrund von gestiegenem Rassismus nicht in die Schule oder bekämen schlechtere Noten. Diese Dynamik brächten sie mit nach Hause und dort wirke es sich auch auf ihre Mütter aus.

Der Beratungsbedarf der Vereine habe sich erhöht. Frauen, die angespuckt, beleidigt, bedroht werden, tagtäglich und auf offener Straße, berichten davon, dass diese Gewalt und auch die Angst vor weiteren Übergriffen zu Depressionen, Schlafproblemen und einer massiven Einschränkung ihrer Autonomie beitrage. Beispielsweise können sie nicht mehr unbeschwert ihre Kinder abholen und überlegen daher, umzuziehen. Besonders nach der Bundestagswahl meiden vor allem auch queere migrantische Frauen den ÖPNV.

„Es war nie einfach, eine migrantische Frau zu sein, unsere Möglichkeiten und Handlungsspielräume waren immer schon eingeschränkt, aber die Lage jetzt ist besonders“ attestiert Doga Akyürek vom türkischen Frauenverein Berlin. Sie fokussierte sich in ihrem Redebeitrag auch auf die Gewalt, die Frauen innerhalb ihrer Communitys erlebten in gewalttätigen oder arrangierten Ehen, die oft an ihren Aufenthalt in Deutschland gekoppelt seien. Der große Mangel an Frauenhausplätzen sei ein zentrales Problem. Frauen mit Kindern, besonders Jungs, hätten es schwerer.

Hinzu käme die Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt. Erst sei es ihnen sehr schwer bis gar nicht möglich, eine Wohnung zu bekommen, und dann seien sie nicht selten Diskriminierung und Beleidigungen von Nach­ba­r:in­nen ausgesetzt. „Es ist immer eine Bedrohung, eine migrantische Frau zu sein“ so Akyürek weiter.

Durch Anfrage der Union unter Druck

Vereine, die sich dieser Problematik annehmen, gerieten aktuell unter Druck. Andauernde rechte Hetze, Kürzungen und gezielte Angriffe auf seien längst keine Ausnahme mehr, sondern explizite Strategie von rechten Kräften. „Sie machen ihre antifeministische und rassistische Rhetorik salonfähig, indem sie feministische Projekte als Bedrohung darstellen“ so Atmaça. Es sei darüber hinaus nicht unüblich, Begriffe wie „woke“ als Kampfbegriffe zu verwenden, um Forderungen zu diskreditieren.

Zum Schluss betonte Delal Atmaça, dass sich Deutschland an einem Scheideweg befinde: Entweder schütze man die Demokratie oder nicht. Ersteres würde bedeuten, die Situation von migrantischen Frauen ernst zu nehmen und feministische Räume zu verteidigen: „Wenn wir diese Räume verlieren, verlieren wir nicht nur Ort für Vernetzung, sondern man zerstört den Schutz aller Menschen, die rechten Narrative ablehnen“.

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2 Kommentare

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  • Der Text redet vor allem vom latenten Rassismus der Mehrheitsgesellschaft, der uns alle bedroht und gegen den wir solidarisch einstehen müssen.

  • Das Sicherheitsgefühl migrantischer Frauen sinkt. Die "No-Go-Areas" sind nicht nur in Ostdeutschland, sondern überall. Beim Anschlag in München starb eine Eine 37-jährige algerischstämmige Ingenieurin und ihre zweijährige Tochter. Wenn man nicht einmal mehr in einer von Verdi organisierten Demo sicher ist, wo dann? Der islamistische Terror bedroht uns alle. Wir müssen solidarisch gemeinsam dagegen einstehen und dagegen vorgehen - als Migranten und also solche, die schon länger hier leben.