Sind Sie glücklich?: „Trotz allem lebe ich noch gern“
■ 11 Uhr, Alexanderplatz. Auch nach dem Tod seines Sohnes ist der Taxifahrer Egon Klatt noch glücklich. Er glaubt: „Man muß jeden Tag an sich arbeiten“
„Sind Sie glücklich?“ will die taz wissen und hört sich jeweils um 11 Uhr abwechselnd auf dem Alexanderplatz und dem Wittenbergplatz um.
Der 49jährige Taxifahrer Egon Klatt: Ich bin glücklich. Ich bin froh, daß ich Arbeit habe, eine gesunde Familie, zwei wunderbare Schwiegersöhne, ein Enkelkind. Ich hatte nur ein schlechtes Erlebnis vor sieben Monaten: Ich habe meinen Sohn verloren. Trotz allem lebe ich aber immer noch gern und möchte es noch lange. Glück ist für mich Gesundheit, Frieden und daß man auch in die Zukunft planen kann. Ich bin Laubenpieper und bin den ganzen Sommer im Garten, was mir Kraft gibt. Taxifahren macht mir Spaß. Es ist, wie ständig Bücher zu lesen: Es gibt gute Bücher, schlechte, welche, die man immer wieder liest, und welche, die man nicht versteht.
Klar gibt es mal Tage, wo es mir nicht so gutgeht. Aber dann habe ich meine Familie, und die richtet den Opa schon wieder auf. Ohne Familie geht es nicht. Da muß man zusammenhalten, dann geht es auch der Gesellschaft besser. Die Familie ist die kleinste Zelle. Aber die meisten denken heute anders, fordern, daß die Gesellschaft etwas für sie tut, und wollen selber nichts zurückgeben. Man muß beides. Wenn man nur fordert und nicht gibt und immer die Schuld bei anderen sucht, wird man unglücklich. Man muß auch mal in den Spiegel gucken und sagen: „Da hast du was falsch gemacht.“ Man muß jeden Tag an sich arbeiten.
Vielleicht bin ich glücklich, weil ich religiös bin. Ich glaube, daß es irgendwo noch was anderes gibt. Das hat mir die Kraft gegeben, mit dem Schicksalsschlag umzugehen. Eine Freundin von meinem Sohn schrieb in ihrer Beileidskarte: „Ist Gottes Glaube wahr, gibt es kein Warum.“ Ich versuche das zu akzeptieren, frage aber trotzdem immer nach dem Warum. Gudula Hörr
Am Sonntag stehen wir auf dem Wittenbergplatz.
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