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Sind Moskaus Taxifahrer bald arbeitslos?

■ Der Oberste Sowjet will Eigeninitiativen in der Wirtschaft unterstützen und Schwarzarbeit abschaffen / Gesetz über „individuelle Arbeit“ verabschiedet / „Nützliche persönliche Aktivitäten“ werden mit öffentlichen Krediten unterstützt / Steuerabgaben bleiben extrem hoch

Von Florian Bohnsack

Berlin (taz) - Bislang war Taxifahren ein Abenteuer in Moskau, besonders nachts. Da bremste für die am Bordstein Winkenden kaum eines der offiziellen gelben, seltener noch grauen Taxis, sondern durchweg Privatautos, die ihre Gäste zum Vierfachen des offiziellen Preises nach Hause oder ins Hotel brachten. Die wenigen staatlichen Taxis sammelten ihre Gäste auf, fuhren sie auf Umwegen zum Ziel und kassierten von jedem Gast den vollen Preis, den der Taxameter anzeigte. Am Mittwoch nun hat der Obersten Sowjet ein Gesetz über zulässige „individuelle Arbeit“ verabschiedet, das vom 1. Mai 1987 an den staatlichen Taxibetrieben auch des Tags starke Konkurrenz bringen wird. Denn neben 28 weiteren Arbeiten gestattet das Gesetz auch „Transportdienste auf individueller Basis“. Allerdings dürfen diese Arbeiten nur von Rentnern, Hausfrauen, Behinderten, Studenten und Schülern ausgeführt werden. Der sowjetische Arbeits– und Sozialminister Iwan Gladkij begründete das Gesetz damit, daß die staatlichen Betriebe die Nachfrage nach Konsumgü tern und Dienstleistungen nur mangelhaft und nicht flexibel genug befriedigen könnten. Dazu zählen die Reparatur von Autos und Haushaltsgeräten, die Herstellung von Schuhen, Möbeln, Spielzeug, Andenken für Touristen und das gesamte Kunstgewerbe, das Bauwesen, Schönheitspflege und Übersetzungsarbeiten. Alles Bereiche, in denen sich sowjetische Bürger auch bisher ein Zubrot verdienten, allerdings unerlaubt. Das Gesetz wurde von der sowjetischen Presse als ein Gegengewicht zu Gorbatschows Kampagne ausgegeben, mit der die Schwarzarbeit beseitigt werden sollte. Verboten bleibt weiterhin die private Herstellung von Waffen, Rauschgift und Druckereiausrüstungen, Glücksspielen sowie der Unterricht in hebräischer Sprache. Die privaten Kleinbetriebe dürfen laut TASS „nur zusammenlebende Familienangehörige beschäftigen. Die Anstellung von fremden Arbeitskräften bleibt verboten“. Wie weit der Begriff der „zusammenlebenden Familie“ dehnbar ist, ist im Gesetz nicht festgelegt. Auch andere Fragen bleiben offen. Zwar betonte Gladkij, „alle ungerechtfertigten Beschränkungen solcher persönlicher Aktivitäten, die nützlich sind, werden aufgehoben“, jedoch wurde bislang das Steuergesetz nicht modifiziert, das den Privatunternehmern extrem hohe Steuern abverlangt. Es heißt nur, daß jetzt die Ministerien für Finanzen und Preisgestaltung die Tarife festlegen sollen, „damit sich niemand unerlaubt bereichern kann“. Damit das System in Gang kommt, können die Minifirmen öffentliche Kredite beantragen und sollen die Einkommenssteuer erst nach einem ersten Betriebsjahr zahlen. Die notwendigen Räume vermietet der Staat.

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