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Sigur Rós-KonzertfilmNicht immer schmerzfrei

Joanna Itzek
Kommentar von Joanna Itzek

Pop aus Island wird gerne über die Landschaft erklärt. Die Band Sigur Rós hat aus dieser Idee einen Konzertfilm gemacht - voll mit verlassenen Fischfabriken und leeren Öltanks.

Wecken Heimatgefühle bei den Isländern: Die Band Sigur Rós. Bild: promo

S igur Rós veröffentlichen heute einen Konzertfilm, der aber nur so tut, als sei er einer. "Heima" spielt in Island, dem Zuhause der Band und ist eigentlich: ein Heimatfilm fürs sehnsüchtige Indie-Publikum. Zu sehen gibt es, was es in Heimatfilmen stets zu sehen gibt: Tradition - wie das isländische thorablot-Fest, bei dem die Dorfgemeinschaft in Trachten gekleidet geräucherte Schafsköpfe isst. Landschaft - die erwartbaren isländischen Polarpanoramen, die einem trotz aller Erwartbarkeit immer wieder den Atem verschlagen. Und Kinder, unfassbar viele Kinder in unterschiedlichen Gemütsverfassungen. Kurz gesagt also Ursprünglichkeit, wohin das Auge blickt. Dazu tragen Sigur Rós ihre epischen Lieder vor.

"Heima" entstand 2006: Die Band, die gerne als Islands größte Musiksensation seit Björk und den Sugarcubes gehandelt wird, ist gerade von einer Welttournee nach Hause zurückgekehrt. Sie beginnt, eine Reihe von Gratiskonzerten zu geben, unangekündigte Gigs im ganzen Land. Nicht nur für Fans. "Für alle Isländer", wie Sänger Jón Thór Birgisson erklärt. Sigur Rós, die Band fürs Volk, spielt in Turnhallen, verlassenen Fischfabriken, leeren Öltanks, auf Wiesen, in Canyons. Die Tour wird zum Top-Thema in den heimischen Medien. Zum Konzert in Reykjavík kommen 30.000 Menschen, was einem Viertel der Stadtbevölkerung entspricht. Es ist das größte Konzert, das die Insel je gesehen hat.

Sigur Rós lassen alle Auftritte filmen, in High End-Qualität, wie man es von einer Gruppe erwartet, die sich als Gesamtkunstwerk versteht und bei ihren Live-Shows die Visuals genauso ins Erhabene treibt wie die Musik. Hinzu kommen Interviews mit den vier Bandmitgliedern und Amiina, einem Streicherquartett, das Sigur Rós seit Jahren auf Tour begleitet. Hinzu kommt eben auch eine Flut von Bildern, die national-romantischer kaum sein könnten. Willkommen im Ethno-Kitsch: Fröhliche Blaskapellen marschieren, Wasserfälle fließen rückwärts und Minderjähige lächeln verstrahlt. Schmerzfrei ist das keineswegs, doch "Heima" wird sehr geliebt werden. Gerade weil der Film die romantischen Vorstellungen von Island bestens bedient, die in Fanköpfen, Reisebüros und den Feuilletons kursieren.

Kaum ein Text über isländischen Pop endet nicht früher oder später bei kalbenden Gletschern in der Nähe elfenbewohnter Vulkankrater. Isländische Musik wird über die Landschaft erklärt, in der sie entsteht, als sei die Natur für jedes E-Moll verantwortlich, das Bands aus Reykjavík spielen. Reykjavík, Sie wissen schon: Diese kleine hochkreative Hauptstadt, in der jeder jeden kennt und mindestens drei Künste gleichzeitig betreibt. Die kulturschaffenden Isländer profitieren ausgiebig von der Strahlkraft ihres Zuhauses. "Über die Popularität der Insel lässt sich Musik gut vermarkten", sagt Louise Johansen vom Reykjavíker Indielabel 12 Tónar, "auch wenn das gefährlich ist, weil sich vor lauter Island das Besondere an einem Künstler viel schwerer wahrnehmen lässt."

Wie zuverlässig Herkunft als Marke funktioniert und wie nachhaltig sie das Image von Musikern prägt, ließ sich schon öfter beobachten - ob nun am Sound of Detroit im Techno, dem Seattle-Sound im Grunge oder der Hamburger Schule. Solange der Hype währte, war es fast egal, was aus diesen Städten musikalisch rumkam - es bekam erstmal Aufmerksamkeit.

Die ist auch Sigur Rós sicher. Sie sind so etwas wie professionelle Grenzgänger zwischen den Genres und komponierten Musik für die Choreografien des Ballettregisseurs Merce Cunningham und für das Königliche Dänische Ballett. Mittlerweile tauchen Sigur Rós-Songs problemlos auch dort auf, wo Musik mehrheitsfähig sein muss: im "Tatort" und in Fernsehreportagen über Kläranlagen beispielsweise. Vorvergangene Woche zeigten sie "Heima" im ausverkauften Admiralspalast. Doch das Eigentliche passierte vor der Filmvorführung: Die Band spielte ein kleines, unaufgeregtes Akustik-Set. Die dichten Prog-Rock-Kompositionen wurden runtergebrochen auf das Nötigste, ein paar Scheinwerfer warfen blasses Licht auf die Bühne und das war's. Da fiel es einem wieder ein: dass es am Ende immer noch um die Musik geht. Und dass sie gut genug sein muss, um für sich selber zu stehen, auch ohne das ganze Island-Klimbim. Die von Sigur Rós ist es.

Nachzuhören ist das auf "Hvarf-Heim" (EMI), dem Doppelalbum, das parallel zur DVD erscheint. Neben überarbeiteten Studioaufnahmen und drei neuen Stücken finden sich auf dem Album vor allem die Akustikversionen alter Lieder. "Hvarf-Heim" ist die Entschlackungskur nach einer Dröhnung "Heima".

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Joanna Itzek
Redakteurin taz.Berlin
Jahrgang 1981, volontierte 2007 im Haus und schrieb dann für die taz aus Ramallah, Kairo, Pankow und Charlottenburg, denn Auslands- und Lokaljournalismus sind Geschwister im Geiste.

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