Sigmar Gabriel über Öko in der Krise: "Wir sind nicht bei Wünsch dir Was"
Die Autoindustrie hat gepennt, die Kohlendioxid-Richtlinien sind gut und die Atomindustrie muss für Asse zahlen: Bundesumweltminister Sigmar Gabriel zweifelt nicht an seiner Politik.
Sigmar Gabriel wurde am
12. September 1959 in Goslar geboren. Er besuchte dort die Realschule und das Gymnasium. Abschluss: Abitur. Nach seinem Wehrdienst studierte er an der Universität Göttingen die Fächer Deutsch, Politik und Soziologie für das Lehramt an Gymnasien.
1977 trat er in die SPD ein, ab 1990 war er Mitglied des Niedersächsischen Landtags.
1994 wurde Gabriel Innenpolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion. Vier Jahre später ernannte ihn die SPD-Fraktion im Landtag zu ihrem Vorsitzenden.
Ende 1999 wählte ihn der Landtag zum Ministerpräsidenten des Landes Niedersachsen. Nach der Niederlage der SPD bei den Landtagswahlen 2003 ging Sigmar Gabriel für zwei Jahre als SPD-Fraktionschef in die Opposition. 2005 wurde er zum Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
ernannt.
taz: Herr Gabriel, sind Sie als Umweltminister ein Krisenverlierer?
Sigmar Gabriel: Nein, im Gegenteil. Der Umweltschutz gewinnt in der Krise an Bedeutung.
Im zweiten Konjunkturprogramm ist aber von Ökologie nicht viel zu sehen.
Wie kommen Sie denn darauf? Tatsache ist: Die 10 Milliarden Euro, die die Kommunen bekommen, müssen sie hauptsächlich für die energetische Gebäudesanierung ausgeben. Und wir haben die Offshore-Windprojekte, die in der Finanzkrise massiv unter Druck geraten sind, unter den staatlichen Bürgschaftsschirm genommen.
Sie wollten die Bahn fördern, nun werden vor allem Straßen gebaut. Die neue Kfz-Steuer belastet die Spritfresser noch immer nicht besonders. Und bei der Abwrackprämie gibt es auch kein Ökokriterium.
Das ist auch gar nicht nötig. Denn Neuwagen haben per se einen niedrigeren CO2-Ausstoß als die Altautos, die jetzt verschrottet werden. Wer geglaubt hat, dass jetzt vor allem die großen Schlitten gekauft würden, hat offensichtlich die Einkommensverhältnisse der Deutschen überschätzt und ihre Klugheit unterschätzt.
Sie sind wirklich zufrieden mit dem zweiten Konjunkturpaket?
Ja. Es beinhaltet 500 Millionen Euro für Elektromobilität. Plus viel Geld für energetische Gebäudesanierung. Was erwarten Sie denn noch? Auf Ihrem Zettel steht offenbar "Wünsch Dir was". Ich kann mich noch gut an die Kommentare auch in der taz erinnern, die prophezeit haben, dass in der Krise alle klimapolitischen Ziele den Bach runtergehen würden. Und? Nichts davon ist eingetreten. Es gibt keine Rücknahme der Klimaziele der Regierung oder der EU.
Vielleicht weil sie nicht ambitioniert genug waren. Waren die Politiker zu nett zu den deutschen Automobilkonzernen, die derzeit auf ihren großen Sprit fressenden Modellen mit hohem CO2-Ausstoß sitzen bleiben?
Das ist doch nicht die Schuld der Politik! Da hat es der Autoindustrie an Weitblick gefehlt. Niemand bestreitet, dass es ein Fehler war, allein auf die Selbstverpflichtung der Autoindustrie zur Minderung des CO2-Ausstoßes zu vertrauen. Deshalb haben wir eine strenge CO2-Richtlinie in der EU durchgesetzt. Es stimmt: Die Autoindustrie in Deutschland hat gepennt. Und jetzt? Sollen wir jahrelang deshalb jammern?
Sie könnten die Autoindustrie stärker rannehmen, anstatt ihr zur Belohnung auch noch drei Jahre Übergangsfrist zu einer strengeren CO2-Richtlinie zu schenken.
Doch, genau das ist nötig. Rache ist ein schlechter Ratgeber. Wenn Sie jetzt, quasi aus Rache für die Ignoranz der Vergangenheit, massiv in die Produktionszyklen der Hersteller eingreifen und erhebliche Mehrkosten auslösen, dann richten Sie erheblichen Schaden an - den aber nicht die Vorstände, sondern die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den Fabriken zu tragen hätten. Wir bräuchten aber gerade die Zustimmung der Facharbeiter in der Autoindustrie, um die CO2-Grenzwerte durchzusetzen. Und wir haben diese Grenzwerte ja nicht hinausgeschoben, sondern festgelegt, dass sie 2012 zu 60 Prozent erfüllt sein müssen und 2015 zu 100 Prozent. Dafür hat die Autoindustrie einen hohen Preis bezahlt - nämlich den, dass sie 2020 einen durchschnittlichen CO2-Ausstoß von 95 Gramm erreichen muss.
Dieses Ziel ist noch nicht verbindlich. Es kann 2015 gekippt werden.
Wird es nicht. Aber bitte - treffen wir uns 2020 noch mal. Dann werden wir sehen.
Wie passt es in Ihre rosige Ökobilanz, dass in der Zeit der großen Koalition kein einziges Atomkraftwerk abgeschaltet worden ist?
Das liegt an den vielen Stillständen, mit denen die Atombetreiber die Laufzeiten strecken. Dadurch werden aber in der nächsten Legislaturperiode umso mehr abgeschaltet.
Warum sind Sie da so sicher?
Weil es so im Gesetz steht. Und weil es die SPD so will. Die Union sieht das in der Tat anders und sagt das auch. Okay - denn so können die Wählerinnen und Wähler am 27. September entscheiden, ob der Atomausstieg weitergeht.
Künftig wird der Druck der Konzerne noch stärker werden. Diese fordern, Strommengen auch von neuen auf alte AKWs übertragen zu dürfen, damit diese länger am Netz bleiben können. Können Sie ausschließen, dass die SPD dieses Spiel nach der Wahl mitmachen wird?
Ich habe nicht die Absicht, das Gesetz nach der Wahl anders zu interpretieren als davor.
Gilt das auch für den Fall, dass die SPD an der Regierung bleibt, aber jemand anders Umweltminister ist?
Welch alberne Frage! Ich kann doch nicht sagen, was jemand anders nach der Wahl entscheiden wird. Ich kann nur sagen: Die Sozialdemokraten haben sich klar auf den Atomausstieg festgelegt. Und dass es uns ernst damit ist, haben wir in den letzten zehn Jahren unter Beweis gestellt.
Die deutschen Energiekonzerne sind aber zuversichtlich, dass ihre AKWs nach der Wahl weiterlaufen werden.
Na, darin haben sie sich ja schon 2002 und 2005 geirrt. Die waren sich ja auch ganz sicher, dass es keinen europäischen Emissionshandel mit 100 Prozent Auktionierung gibt. Der kam aber trotzdem. Die alten Kraftwerke wie Biblis A werden vom Netz gehen. Die sind zwar für die Betreiber wichtig, weil sie damit noch viel Geld verdienen, aber weder für die Energieversorgung Deutschlands noch für den Klimaschutz brauchen wir sie. Auch momentan sind ja nicht alle Atomkraftwerke am Netz. Das beweist doch, dass wir keine Stromlücke bekommen, wenn Atomkraftwerke abgeschaltet werden.
Aber die Brennstoffsteuer, mit der sich die Energiekonzerne ein bisschen mehr an den Kosten beteiligen müssen, die sie verursachen - die haben Sie erst im Wahlkampf wiederentdeckt.
Ich will, dass die nächste Bundesregierung dafür sorgt, dass die Atomkraftbetreiber die Sanierung der katastrophalen Zustände in der Asse und in Teilen auch in Morsleben mitfinanzieren.
Wenn das so wichtig ist, warum stellen Sie die Brennstoffsteuer nicht jetzt zur Abstimmung? Eine Mehrheit im Bundestag müsste es doch geben.
Sie sind wieder bei der Abteilung "Wünsch Dir Was". Man macht doch keine Koalition, um gegen den Koalitionspartner zu stimmen.
Und mit wem wollen Sie nach der Wahl die Brennstoffsteuer umsetzen?
Die Union wird nach der Bundestagswahl sagen müssen, wie die Sanierung finanziert werden soll. Es gibt auch in der CDU viele, die sagen: Eigentlich ist es eine Schweinerei, dass der Steuerzahler die Asse und Morsleben bezahlen muss, obwohl nur die Betreiber davon profitiert haben.
Sie hoffen also, dass die Union jetzt Nein sagt, aber nach der Wahl zustimmt?
Mag sein, dass der CDU ein Fonds lieber ist als eine Steuer. Aber die Atomkonzerne werden, so oder so, zahlen müssen.
Ein ähnliches Problem werden Sie mit anderen SPD-Wahlversprechen bekommen, etwa der Börsenumsatzsteuer und dem generellen Mindestlohn. Mit wem wollen Sie das nach dem 27. September umsetzen?
Für die Börsenumsatzsteuer spricht, dass jene, die die Schäden verursacht haben, sich jetzt bitte auch an der Refinanzierung beteiligen sollen. Hans Eichel und Peer Steinbrück haben mehrfach versucht, Finanzmarktregeln zu verschärfen - und sind gescheitert, weil es hieß, das komme aus der sozialistischen Mottenkiste.
Die Börsenumsatzsteuer hat die SPD 2007 noch abgelehnt.
Ja, aber die SPD hat mehr Regeln für den Finanzmarkt gefordert. Das ging früher nicht, jetzt geht es. Dies ist keine Konjunkturkrise, dies ist eine Systemkrise. Das Modell, immer schneller mit immer billigerem Geld zu spekulieren, ist kaputt. Das sind gute Zeiten für sozialdemokratische Vorschläge. Das ist es, womit die Union zunehmend ein Problem hat.
Glauben Sie ernsthaft, die SPD könnte Mindestlohn und Börsenumsatzsteuer mit Westerwelle realisieren?
Wenn Guido Westerwelle bis Ende 2009 die FDP nicht in eine Regierung geführt hat, ist er am Dreikönigstag 2010 nicht mehr FDP-Chef. Wir beteiligen uns aber nicht an Koalitionsspekulationen, wir vertreten sozialdemokratische Politik.
Sie müssen doch eine realistische Machtoption haben.
Haben wir doch. Wir wollen Rot-Grün, und wenn es dafür nicht reicht, eine Ampel. Oder die große Koalition wird fortgesetzt. Rot-Rot-Grün ist ausgeschlossen. Mit der Linkspartei, die gegen den Lissabon-Vertrag ist, für Neonationalismus steht und für Gewerkschaftsrechte in Deutschland ist, aber nicht in Kuba, kann man auf Bundesebene keine gemeinsame Politik machen.
Das gilt für 2009?
Und auch 2013. Wenn die Linkspartei sich nicht ändert, wird es keine gemeinsamen politischen Mehrheiten geben.
Und wird die Linkspartei sich so verändern, wie Sie es wollen?
Das weiß ich nicht. Man muss ihr jedenfalls die Chance geben, in der Bundesrepublik endgültig anzukommen. Sie dauerhaft auszugrenzen ist nicht klug. In Berlin sieht man, dass es anders geht.
In Hessen hat man gesehen, dass es nicht geht.
Nein, dort hat es nicht geklappt, weil die SPD vorher eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei ausgeschlossen hatte. Und die Tolerierung war auch der falsche Weg. Wenn, dann müssen verbindliche Koalitionen her.
Aber grundsätzlich ist Rot-Rot im Westen möglich?
Ja klar. Wir koalieren in Berlin mit alten SED-Mitgliedern, aber im Saarland soll das mit alten SPD-Mitgliedern nicht möglich sein? Das können wir doch niemandem erklären.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Ex-Mitglied über Strukturen des BSW
„Man hat zu gehorchen“
Fall Mouhamed Dramé
Psychische Krisen lassen sich nicht mit der Waffe lösen