■ Siemens will Kabelwerke schließen: Alte Arbeitsteilung
Die Liste der Konzerne, die ihre Produktionsstätten ins In- und Ausland verlagern und Arbeitsplätze in der Stadt vernichten, wird immer länger. Das Kreuzberger Unternehmen DeTeWe ließ eine moderne Fertigungsanlage vor den Toren der Stadt bauen, AEG verlagerte vor zwei Jahren seinen Schienenfahrzeugbau nach Hennigsdorf und nach Tschechien. Die Ankündigung von Siemens, die Kabelwerke in Berlin zu schließen, komplettiert die Riege hochrangiger Konzerne, die ihren konkreten Beitrag zur Deindustrialisierung der Stadt leisten.
Die Umsetzung kam nicht überraschend. Schon im Sommer 1993 hatte Siemens den Abbau von mehreren tausend Stellen in den nächsten Jahren angekündigt. Wie stets in solchen Fällen dient auch hier die abrupt weggefallene Berlinförderung als Begründung für den Rückzug. Die Große Koalition, die im Wahljahr parteiübergreifend ihr Gewerkschaftsherz schlagen hört, hat jedoch ihr Scherflein zur derzeitigen Misere beigetragen. In der Hoffnung, Berlin als glanzvolle Hauptstadt in Bonn zu verkaufen, redete man die Probleme der Stadt herunter. Lange Zeit folgte man jenen Optimisten, die der Stadt eine Zukunft als Dienstleistungsmetropole prognostizierten. Viel zu spät setzte sich dann auch in Bonn die Erkenntnis durch, daß die Westberliner Insel seit dem Fall der Mauer dem Osten immer ähnlicher wurde. Die Entscheidung des Bund- Länder-Planungsausschusses vor zwei Wochen, Westberlin in die Ostförderung miteinzubeziehen, war das erste sichtbare Eingeständnis des Scheiterns einer Politik, die statt auf eigene Konzepte auf den guten Willen der Konzerne vertraute. Jetzt muß noch die EU-Kommission, die diese Entscheidung abzusegnen hat, vom erbärmlichen Zustand der Großregion Berlin überzeugt werden.
So richtig es ist, die Politik in die Verantwortung zu zwingen, so falsch wäre es aber, ihr allein die Schuld an der Misere zu geben. Fördermittel können nur eine Stütze sein. Die Entscheidungen über Standortverlagerungen fällen die Vorstände der Unternehmen. Moralische Appelle haben selten eine Chefetage überzeugt. So wird auch im Fall Siemens jene Form der Arbeitsteilung praktiziert, die der Konflikt um den Industriestandort Berlin bereithält: Der Konzern handelt, der Senat und die Gewerkschaften protestieren. Am Ende aber werden die Arbeitnehmer entlassen. Severin Weiland
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