KIM TRAU POLITIK VON UNTEN : Sieben Jahre lang die ewige Frage: Wer bin ich?
Bevor man entscheidet, was man im Leben tun will, muss man wissen, wer man ist. Kim Trau hat viel riskiert dafür
Vor zwei Wochen habe ich meine Master-Arbeit angemeldet. In drei Monaten muss ich fertig sein. Es wird auch Zeit. Nicht nur, weil ich schon seit 2006 an der Universität bin, sondern auch, weil ich fühle, dass ich Neues tun muss. Ich war zwanzig Jahre alt, als ich nach Berlin zog. Damals haben Beruf und Karriere keine Rolle für mich gespielt. Ich wollte etwas studieren, was mich interessiert. Und ich wollte die Antwort auf die für mich drängendste Frage finden: Wer bin ich?
Eine Antwort habe ich tatsächlich gefunden und auch die Konsequenzen gezogen. Im März vor sechs Jahren bekam ich offiziell den Vornamen Kim, mein alter männlicher Rufname fristete von da an nur noch ein Schattendasein und wurde ein Jahr später gelöscht. Ich hatte mir vor der gerichtlichen Vornamensänderung im Rahmen des Transsexuellengesetzes eine amtliche erlaubt. Das ist in Deutschland nicht einfach, aber zum Glück war die Sachbearbeiterin verständnisvoll, und mir gab es Zeit, mir klarer über mich zu werden. Vielleicht musste ich mich auch noch mental für das rüsten, was dann alles kam: schmerzhafte Operationen, entwürdigende Begutachtungen und der Zwang, sich erklären und rechtfertigen zu müssen.
Das habe ich nun hinter mir, wie man etwas hinter sich haben kann als Person, die ein Leben lang im Werden begriffen ist.
Nun also ist es Zeit für die andere Frage: Was will ich tun? Andere stellen sich solche Fragen zehn Jahre früher, aber die haben auch keine zweite Pubertät und überhaupt: wozu sich ständig messen müssen? Mit meinem Studium habe ich wichtige Weichen gestellt – ich habe Asienwissenschaften und Geschichte gern studiert. Wo mein Wissen zukünftig gebraucht wird, ist eine andere Frage. Zurück auf Los muss ich zum Glück nicht, denn die letzten sieben Jahre kann mir keine_r mehr nehmen. Sie sind zu wertvoll.
Anfang des Jahres war ich auf einer Infoveranstaltung zu Promotionsstipendien. Die Veranstalterin erklärte zu Beginn einige Schritte zur erfolgreichen Bewerbung. Am Anfang stehe, meinte sie, immer die Schlüsselfrage: Wer bist du?
Zu Beginn meines Studiums, als ich mir selbst diese Frage stellte, konnte ich sie nicht beantworten. Heute kann ich es. Deshalb kann ich nun auch den nächsten Schritt machen und einen Weg finden in den für mich richtigen Beruf. Ich will etwas tun, was mir liegt.
Manchmal muss man Umwege machen, um den Weg zu finden. Die einen müssen zum Südpol fahren, um sich nahezukommen, die anderen eine Demonstration gegen soziale Ungerechtigkeit organisieren, um sich gesellschaftlich zu verorten, wieder andere müssen viel Kohle aufs Konto scheffeln, weil sie glauben, nur so Bedeutung zu haben. Ich hingegen musste, um mich zu finden, meine Identität infrage stellen und meinen Körper. Ich bereue nichts.
Liebe Leser_innen, meine Kolumne endet hiermit, ich hoffe, das Lesen hat Ihnen ebenso gefallen wie mir das Schreiben!
■ Die Autorin engagiert sich bei Transgender Europe Foto: privat