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Sie benötigen nur einen IQ von 90

betr.: „Die neuen Nichtarbeitlosen“, taz vom 4. 10. 00

Mitleid mit den Ärzten benötigen Sie nicht, vielleicht aber mit sich selbst und ihren Familienangehörigen, sofern jemand, was ich nicht empfehle, krank werden sollte.

Wenn Sie von einer 40-Stunden-Woche und in meinem Fall von täglich 25 Patienten ausgehen, mehr kann man (kann ich) bei laxestem Gewissen als Neurologe und Psychiater, dazu als Chirotherapeut, nicht verkraften, kommen sie auf ca. 500 „Scheine“ im Quartal, das sind etwa 50.000 Mark, wovon 40.000 Mark Praxiskosten sind. Zusätzliche 10.000 Mark benötigt man als „Selbstständiger“ für alle möglichen Versicherungen. Vor ca. fünf Jahren hätte man für die gleiche Anzahl Patienten vielleicht 70.000 Mark erhalten, was fehlt, muss heute durch mir unärztlich vorkommende Art erwirtschaftet werden. Bei obiger „Scheinzahl“ und Arbeitswoche kämen auf jeden Patienten 19,2 Minuten, wenn diese einen durchschnittlich dreimal pro Quartal aufsuchen, wovon statistisch ausgegangen wird. Die Zeit für andere Zwecke als nur Konfrontationen mit den Kranken von Angesicht zu Angesicht macht gut die Hälfte der 19,2 Minuten aus.

Es gibt Fachkollegen mit der doppelten Scheinzahl: Was ich über diese Praxen von unzufriedenen Patienten erfahre, erfüllt mich mit Horror. Gleichzeitig weiß ich, dass die Machthaber (nicht die machtlose Regierung!) in der BRD es heute so haben wollen. Deshalb: Sie benötigen nicht Mitleid, sondern nur einen IQ von sagen wir 90, dazu die vier Grundrechenarten, damit Sie so etwas wie Angst entwickeln, was ich durchaus empfehle.

Sonderbar, dass Sie die Existenz von Alternativen zu der neoliberalen Medizinausübung ignorieren. Der Satz vom sozial verträglichen Sterben hat seinerzeit schockiert, war aber sachlich richtig. ANTONIOS RISOS, Bochum

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