Sicherheit im Verkehr: Autotester wider Willen
Die Zahl der Rückrufe steigt: Immer häufiger bringen die Hersteller mangelhafte Fahrzeuge auf den Markt. Praktisch erprobt werden sie erst von den Kunden.
![](https://taz.de/picture/315774/14/toyota_02.jpg)
BERLIN taz | Immer öfter müssen Autohersteller in Deutschland verkaufte Fahrzeuge wieder in die Werkstätten zurückrufen. Das zeigen aktuelle Zahlen des Kraftfahrtbundesamtes. Allein im vergangenen Jahr war die Behörde als zuständiges Aufsichtsamt an 140 Rückrufaktionen beteiligt. Spektakuläre Aktionen wie die von Toyota - der japanische Konzern musste weltweit rund 8,5 Millionen Fahrzeuge wegen Problemen mit Gaspedalen, Bremsen und klemmenden Fußmatten zurückrufen - sind dabei nur die Spitze des Eisbergs.
Ein Auto besteht, je nach Fabrikat und Betrachtungsweise, aus 6.000 bis 10.000 Einzelteilen. Alle diese Teile können irgendwann kaputtgehen - auch solche, die für den sicheren Betrieb des Fahrzeugs notwendig sind. Das gefährdet nicht nur Fahrer und andere Insassen, sondern auch Passanten. Häufen sich die Fehler schon bei Neuwagen, handelt es sich um ein strukturelles Problem. Dann müssen die Hersteller die verkauften Autos in die Werkstätten zurückrufen und den Fehler beheben.
Bei den 140 Rückrufen des vergangenen Jahres ging es laut Kraftfahrtbundesamt in 86 Fällen um besonders gefährliche Mängel. 1998 gab es nur 55 Rückrufaktionen, 27 davon wegen besonderer Gefährdung.
Die Gründe für diese Entwicklung sind vielfältig. Einiges deutet darauf hin, dass neue Modelle vorschnell auf den Markt kommen. So sind die Kunden quasi kostenlose Testfahrer der Konzerne. "Bei den neuen Modellen haben wir es mit immer kürzeren Entwicklungszyklen zu tun", sagt Helmut Klein, Technikexperte beim Automobilclub ADAC. Zudem würden immer häufiger Simulationsprogramme eingesetzt. In der Praxis erprobe man technische Details immer weniger. Ein Großteil der Rückrufe betreffe Fahrzeuge, die nicht älter als zwei Jahre seien; das sei ein Hinweis auf nicht ausgereifte Neumodelle.
Zudem werden die Fahrzeuge immer komplexer und in immer mehr Modellvarianten angeboten. Dabei wird Schnickschnack wie elektronische Fensterheber oder Einparkhilfen mitverkauft, der sie nicht nur teurer macht und zu einem höherem Energieverbrauch führt, sondern möglicherweise auch störanfällig ist.
Zugleich sorgt die Gleichteile-Strategie der Hersteller dafür, dass Mängel schnell sehr weit verbreitet auftauchen. Bei Toyota kommt das verdächtige Gaspedal weltweit von demselben Hersteller, und es wird in mehreren Modellreihen eingebaut. Diese Strategie spart nicht nur Geld. Sie ist eigentlich auch geeignet, Fehler schneller zu finden. "Bei einem hohen Produktausstoß fallen Probleme eher auf als bei kleinen Serien", sagt ADAC-Experte Klein. Der Hersteller müsse aber umso schneller reagieren. Denn wenn das Problem bei sehr vielen Fahrzeugen auftaucht, kann sich der Kostenvorteil schnell ins Gegenteil verkehren. Rückrufaktionen verschlingen sehr viel Geld, vom Imageschaden ganz zu schweigen.
Gerd Lottsiepen, Autoexperte beim alternativen Verkehrsclub VCD, sieht noch einen weiteren Grund für die jüngsten spektakulären Rückrufe: "Toyota ist zu schnell gewachsen", so Lottsiepen. Dafür habe man weltweit möglicherweise Zulieferer ins Boot geholt, die den hohen Qualitätsanforderungen nicht gerecht würden. "Für gute Arbeit braucht man gut ausgebildetes Personal." Das soll auch eine Warnung an Volkswagen sein, schließlich plant der Wolfsburger Konzern, Toyota zu überholen - mit einer ähnlichen Plattformstrategie. Wachstum dürfe es nicht um jeden Preis, sondern nur mit intensiver Qualitätssicherung geben, so Lottsiepen. "Die Kunden haben ein Recht darauf, dass ihre Autos sicher fahren."
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