: Sicher gelandet
Selten ist Tanz so eine verliebte Angelegenheit wie in dem Stück „Schmetterlingsdefekt“ der wee dance company
Es gibt ein Navigationssystem, das verspricht Sicherheit. Im Auto sagt es den Weg voraus, „nach fünfzig Metern rechts abbiegen“. Es gibt aber auch ein Navigationssystem, das Chaos verspricht. Es ändert die Richtung oft im falschen Augenblick und schickt einen auf Ausfahrten, von denen es kein Zurück gibt. Das nennt man Liebe, und alles, was der Mensch je lernen konnte, nützt da überhaupt nichts.
Tänzer sind ausgebildete Spezialisten für Richtungswechsel; was lag also näher, als ein Stück über die Liebe in Zeiten der Autonavigationssysteme zu machen. Dan Pelleg und Marko E. Weigert von der wee dance company haben sich zusammen mit ihrer Dramaturgin Sommer Ulrickson und drei Tänzerinnen daran gemacht. Anfangs irren sie zwischen verschiebbaren Wandmodulen wie durch tiefe Straßenschluchten, von einer freundlichen Navigatorstimme herum geschickt. Da sieht man stets nur einen Teil des Geschehens und ahnt, dass andere, hinter den Wänden verborgen, Teil einer Kette von Reaktionen sind. Aber nie sind Ursache und Wirkung von Anfang bis Ende sichtbar.
Mit Kisten und Kartons bauen die Tänzer die Bühne ständig um. Ein Alphabet der Zärtlichkeiten wird erfunden in Hütten, auf Flößen und Betten. Umarmungen, Umbeinungen, Taillen, die sich in Nackenkuhlen schmiegen: Tragen, Wiegen und Schaukeln bestimmen das Stück. Im Sprung schrauben sich die Tänzerinnen hoch und werden in der Luft gefangen, eine schöne Belohnung des Risikos, womöglich ins Nichts zu fliegen.
Wie man trotz des Chaos die Balance findet, ist eines der Themen. Eine Kiste, groß wie ein Schrank, kippt um und Rachel Lincoln, die frech wie ein Käfer oben hockte, krabbelt mitten im Sturz auf die andere Seite. Wie die Kiste auch gedreht und gewendet wird, sie hält sich oben auf und lacht. Später entern ganze Gruppen diese wackligen Decks und bilden Brücken zwischen kippligen Türmen. Die Suche nach der Balance vergrößert sich durch das Spiel auf den Kisten zum akrobatischen Bild.
Für die Tänzerin Kathinka Lühr macht ihr hochschwangerer Bauch die Sache noch ein bisschen spannender. Manchmal trägt sie ein Aquarium mit einem kleinem Goldfisch vor ihrem Bauch und verdoppelt damit das Bild vom inneren Horizont, der trotz aller äußeren Unruhe immer wieder den Ausgleich sucht. Das ist ein ungewohnter dicker Klecks Naturalismus mitten in den stilisierten Formen des Modern Dance, den dieses Stück aber durchaus verkraftet. KATRIN BETTINA MÜLLER
„Schmetterlingsdefekt“, 30. 7., 2.–4. 8., 21 Uhr, Sophiensæle
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