piwik no script img

Short Stories from AmericaTitelseite, 60 Punkt

■ Allen gegen McKinnon: Wer macht das Rennen um die Schlagzeile? Und warum?

So langsam muß man mit Woody Allen sympathisieren. Kaum ist der Vorwurf entkräftet, er habe seine Tochter Dylan sexuell belästigt, fliegt er auch schon aus den Schlagzeilen. Ein oder zwei Boulevardzeitungen nehmen ihn noch wahr, in den Nachmittagsausgaben, die sich die Pendler auf dem Heimweg von der Arbeit vors Gesicht halten oder in denen die Hausfrauen blättern, wenn sie auf ihre Kinder warten, um sie vom Hockeytraining abzuholen. (Das weiß ich von Freunden in den Vororten, denn in New York selbst gibt es weder Schulen mit Hockeyplätzen noch biologische Mütter, die ihre Kinder abholen. Das übernehmen Angestellte, und das sind normalerweise dunklere Leute.)

In einer Demütigung ohnegleichen ist Allen von den Frontseiten der großen Zeitungen verschwunden, einschließlich der New York Times, die er vor sechs Monaten noch mühelos beherrscht hatte. Das New York Magazine ersetzte ihn – ihn, Woody Allen, der so viele Titelseiten geschmückt hatte – durch Catherine McKinnon. Kann man sich das vorstellen? Catherine McKinnon, Antiporno-Guru-Feministin von rechts, ist verlobt mit – Jeffrey Masson, wie das New York Magazine voller Vergnügen meldete. Masson ist, wie man sich vielleicht erinnert, jener Analytiker, der sich auf einen Streit mit den Freud-Archiven einließ und eine Enthüllungsstory schrieb, die ihm die Verbannung aus dem psychiatrischen Establishment eintrug. Jetzt hat er eine Enthüllungsstory über seinen Vater und dessen Guru geschrieben, den britischen Schriftsteller Paul Brunton (P. B.), der mit seinen Schriften den indischen Mystizismus im Westen bekannt machte. P. B. lebte bei der Familie Masson, und Jeffrey wurde, so New York, als „P. B.'s geistiger Erbe, als zukünftiger Guru“ erzogen – bis er seine Illusionen verlor und sich dem Studium des Sanskrit widmete. Er lehrte Sanskrit an der Universität Toronto, bis er seine Illusionen verlor und sich den Freudianern in die Arme warf, die ihn als ihr Wunderkind aufnahmen, bis er seine Illusionen verlor und in drei Büchern über sie herfiel. Nebenbei erwarb sich Masson einen Ruf als berüchtigter Frauenjäger, was, wie er heute sagt, durch Pornographie ausgelöst wurde. Außerdem behauptet er, mit der Antiporno- McKinnon zu leben, sei, „wie mit Gott zu leben“. Dann „öffnete er seine Seele“ der Journalistin Janet Malcolm, bis der New Yorker Malcolms Artikel über Masson veröffentlichte und Masson sich wieder einmal verraten fühlte. Er hat Malcolm und den New Yorker wegen Verleumdung verklagt, und dieses Verfahren dürfte zwar zum „Dallas“ des Journalismus werden, aber bei weitem nicht so gut wie das Buch, das er schreiben wird, wenn er seine nächsten Illusionen verloren hat: die über McKinnon. Und Woody hat sich eingebildet, mit einer Anklage wegen Kindesmißbrauch und einer Affäre mit Mias 21jähriger Adoptivtochter Soon-Yi könne er da mithalten.

Das zeigt einen Mangel an Verständnis für das amerikanische Zeitungmachen, denn das läuft etwa so ab: „Also los jetzt, Jungs, es ist gleich vier, was steht an für die Titelseite?“ „Da gibt es Jelzins Kampf um die Macht gegen das russische Parlament...“ „Zu Rußland gibt's drei Fachleute und sechs Meinungen, da kümmert sich eh niemand drum. Was ist besser, ein Parlament aus alten Kommunisten oder der Kerl, der das Parlament im Namen der Demokratie abschaffen will? Paßt auf Seite 2. Was haben wir noch?“ „Ja, Jelzin will Notstandsrechte...“ „Eine neue Diktatur aus Rußland? Titelseite, 60 Punkt. Die Titelzeile soll der Kerl schreiben, der getextet hat: ,Kopflose Leiche in Oben-ohne- Bar‘. – „Was haben wir noch?“ „Sieht so aus, als sammelten sich die Demokraten hinter Clintons Wirtschaftspolitik...“ „Okay. Erste Seite, aber die Zahlen auf Seite 37 oder so. Und paßt auf, daß ihr eine Karte oder ein Bild oder irgendwas dazupackt. Bißchen Tempo jetzt, es ist viertel nach vier.“ „Clinton will 31 Militärbasen schließen...“ „Gut, nehmen wir mit dem Bild von 'ner großen Maschine. Nächstes.“ „Da ist dieser Dr. Gunn, der erschossen wurde, weil er Abtreibungen vorgenommen hat. Dieser Kerl, der ihn erschossen hat, Michael Griffin, ist anscheinend in die Kirche gegangen und hat die Gemeinde aufgefordert, sie sollte ihm zustimmen, daß Dr. Gunn sein Leben Jesus Christus geben soll – also wußten die Leute vielleicht schon vorher von dem Mord. Matt Trewhella von den ,Missionaren für die Ungeborenen‘ sagte, da er keinen verurteilen würde, der Hitlers Ärzte umgebracht hätte, könnte er auch Griffin nicht verurteilen. Die ,Operation Rescue‘ setzt Fotos von Ärzten auf Steckbriefe. Im letzten Jahr kam es zu 186 Angriffen gegen Kliniken, teilweise unter Versprühen schädlicher Chemikalien und Feuerbomben...“ „Gunn war gestern, wir brauchen was über Fanatiker.“ „Die christliche Sekte in Waco, Texas, verteidigt sich jetzt schon die dritte Woche gegen die Bullen...“ „Über Fanatiker. Amerikaner sind keine Fanatiker.“ „Irische Homosexuelle wehren sich gegen das Verbot ihrer Teilnahme an der New Yorker St.-Patricks- Day-Parade.“ „Hat sich jemand dabei ausgezogen? Moment mal, gibt es irische Homosexuelle, die Mädchen sind?“ „Nur diejenigen, die wie Mädchen aussehen...“ „Wenn du ein Bild hast, bin ich dabei. Was habt ihr über Fanatiker?“ „Der Krieg in Bosnien...“ „Bosnien haben wir jeden Tag. Druckt einen Kasten, daß wir immer noch die Helden der Luftbrücke sind, und packt die Geschichte auf Seite 37 oder so.“ „Sir, wir haben ein Bild von ein paar Bosniern ohne Kleider...“ „Na und?“ „Die Explosion in der Börse von Bombay hat 200 Todesopfer gefordert und 1.100 verletzt, viel mehr als bei dem Bombenanschlag gegen das World Trade Center...“ „Mehr nur im technischen Sinne.“ „Was die Fanatiker angeht, wie wäre es mit einer Serie, wie kleine dunkle Ausländer die amerikanische Mannhaftigkeit attackieren, indem sie die größten phallischen Symbole des Landes in die Luft jagen. Das könnte wochenlang laufen, mit terroristischen Verbindungen nach Ägypten, Afghanistan und Woodbridge, New Jersey – zu deutschen Ärzten mit unbekannten Geldquellen. Ich glaube, einer der Ausländer hat eine deutsche Frau. Das FBI könnte auch mitspielen...“ „Das erinnert mich an eine Geschichte, die J. P. immer erzählte, als ich in dieser Branche noch neu war. Großer Zeitungsmann, dieser J.P. Er erzählte von einem Anfänger, der seinem Redakteur eine Geschichte vorlegte: Ich fickte einen Elefanten. ,Das ist schon ganz gut‘, sagte der Redakteur, ,aber da fehlt noch der politische Aspekt.‘ Also kommt der Anfänger wieder mit dem Artikel: Ich fickte einen Elefanten für das FBI. ,Schon viel besser‘, sagte der Boss, ,aber wir sind eine Familienzeitung.‘ Also legt der Anfänger seinen letzten Artikel vor: Ich fickte einen Elefanten für das FBI und fand zu Gott. Das ist es. Nehmt Catherine McKinnon auf den Titel.“ Marcia Pally

Aus dem Amerikanischen von Meinhard Büning

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen