Short Stories from America: Das ist der Tanz der Demokraten
■ Was Bill so alles mit den Hüften macht, oder: Wackeln gehört eben einfach zum Geschäft
Bill Clinton ändert seine Meinung ziemlich oft. Das scheint die Welt zu überraschen, oder jedenfalls die Welt der Presse, und das wiederum überrascht mich. Nicht nur die nationale Presse, sondern anscheinend auch internationale Korrespondenten werfen baß erstaunt mit Ausrufezeichen um sich, als seien Politiker noch niemals umgefallen. Selbst Fiora Lewis von der New York Times fühlte sich zu einem ihrer seltenen Kommentare aus Europa bewogen und schrieb, unsere Verbündeten seien besorgt. Ich kann nicht behaupten, daß ich das verstehe.
Es ist ja wahr, daß Bill Clinton dieses Jahr einen neuen nationalen Gesundheitsplan verabschieden wollte, zu dem es jetzt vielleicht nicht kommt. Er wollte auch die Steuern für die Mittelklasse senken, und auch das ist inzwischen ungewiß. Er wollte in Bosnien eingreifen und denkt nicht mehr daran. Er wollte den haitianischen Flüchtlingen helfen und jagte sie dann zurück aufs Meer. Er wollte der Diskriminierung der Homosexuellen in den Streitkräften ein Ende machen und tut es jetzt doch nicht. Er wollte erst Zoe Baird und dann Kimba Wood zur Justizministerin ernennen und überlegte es sich anders. Dafür ernannte er David Cergen zum Berater im Weißen Haus, einen ehemaligen Werbeberater der Republikaner und Reagans Kommunikationschef. Er wollte seinen schlecht organisierten Reisestab rausschmeißen und tat es dann doch nicht. Er wollte Lani Guinier zur Leiterin der Bürgerrechtsabteilung im Justizministerium ernennen, aber letzte Woche ließ er auch das bleiben.
Mir ist ja klar, daß er das alles vorhatte und dann nicht tat. Ich verstehe bloß nicht, warum die Leute so verblüfft sind und nach allen möglichen Gründen für Bills Improvisationskünste suchen. Manche sagen, der ganze Ärger habe mit dem amerikanischen Begriff der eigenen Neuerschaffung zu tun. Das ist ein Überrest aus unserer Grenzervergangenheit – so nannte man es, wenn ein kleiner Falschspieler aus Ohio in New Orleans beim Würfeln gewann, sich in Wyoming eine Ranch kaufte und als angesehener Grundbesitzer chinesische Eisenbahnarbeiter lynchen durfte, bevor er als Bürgermeister kandidierte. Es bedeutet auch, daß aus Schuldnern Fabrikanten wurden, aus Fließbandarbeitern Hollywood-Mogule und – wie ein neueres Beispiel zeigt – aus einem zweitklassigen Schauspieler der Führer der Nation.
Das neueste Beispiel bietet Jeffrey Masson, der Knabe, der soeben eine Verleumdungsklage gegen Janet Malcolm gewonnen hat, die im New Yorker ein Portrait über ihn geschrieben hatte. Bis vor kurzem war Masson nach eigenem Bekunden ein Frauenheld, der es sich zur Aufgabe gemacht hatte, Gurus zu entlarven, die unverzeihlicherweise seine Probleme nicht hatten lösen können – angefangen bei Paul Brunton, dem britischen Mystiker, der in Massons Familie lebte, als er noch ein Kind war, bis hin zu den großen Tieren des Freud-Archivs, wo Masson eine Weile arbeitete. Nachdem er sich von seiner Verlobten, der Porno-Bekämpferin Catherine Mac Kinnon, zum rechten Feminismus hatte bekehren lassen, wollte Masson seine alte „Ich habe mit 1.000 Frauen geschlafen“-Hülle abstreifen und verklagte Malcolm mit der Begründung, sie habe verleumdet, was er inzwischen als seinen Ruf bezeichnet. (Früher nannte man das wohl Lebensstil.) Der empfindsame neue Mann entledigt sich des sexistischen Dandys und bekommt Recht vor den Gerichten eines Landes, in dem die eigene Neuerschaffung zu den Glaubensartikeln gehört.
Mein Problem dabei lautet: in seinen Gesprächen mit Malcolm ließ sich Masson lang und breit darüber aus, wie man ihn im Freud-Archiv als „privaten Gewinn, aber öffentliche Belastung“ eingeschätzt habe. Eine Frau (mit der er eine Affaire gehabt hatte) sagte ihm, gesellschaftlich sei er „unerträglich, aber in seiner eigenen Wohnung durchaus annehmbar“. Malcolm versuchte, Massons umfangreiche Eigendarstellung in dem Ausdruck „intellektueller Gigolo“ zusammenzufassen – eine durchaus gelungene Formulierung, die sie großzügig Masson zuschrieb. Ich verstehe ja, warum er – wieder einmal neugeboren – sie deshalb der Verleumdung bezichtigte. Ich verstehe allerdings nicht, warum sie ihm die Urheberschaft an ihrer schönen Formulierung zuschrieb.
Im Falle Bill Clintons bedeutet Neuerschaffung, daß er heute progressiv sein kann und morgen zentristisch (auch wenn die Mitte in einem Lande, in dem die politischen Pole kaum eine Spaltenbreite voneinander entfernt sind, nur unter Schwierigkeiten zu entdecken ist). Aber mit der eigenen Neuerschaffung können seine Probleme nichts zu tun haben – denn für Amerikaner entstehen daraus keine Probleme, wie Reagan und Masson wissen. Bills Wankelmut jedoch versetzt die ganze Nation in Wallungen.
Das ist albern. Bill ist ein Demokrat; das Wackeln gehört einfach dazu. Die Demokraten sind eine Koalition von Menschen, denen es an Schmackes fehlt. Und Gruppen, die mit der Macht nicht vertraut sind, fallen auseinander und verspielen sie. Zwei Dinge auf der Welt sind wirklich sicher: dies und die Prostitution.
Reagan und Bush sind Republikaner – eine Minderheitenpartei aus Menschen, die an der Macht sind, weil sie wissen, daß man Macht dazu einsetzt, um sich an der Macht zu halten. Die Republikaner üben Parteidisziplin; sie halten nichts von Regenbogen-Kakophonien. Sie handeln und wählen als Block. Republikaner aus dem Süden würden sich niemals gegen ihren Parteivorsitzenden wenden, wie man das bei Demokraten aus dem Süden täglich erlebt, ob nun in Wirtschaftsfragen oder in der Frage der Homosexuellen in den Streitkräften. Republikaner unterstützen die Kandidaten ihres Anführers – man erinnere sich an ihre Geschlossenheit, als der radikale Rechte Robert Bork zu einem der Obersten Richter ernannt werden sollte. Man erinnere sich auch daran, wieviel Zeit und Geld die Progressiven darauf verwenden mußten, Bork aus diesem Amt fernzuhalten. Republikaner kämpfen im Rudel und bieten das Bild, das sie zu bieten wünschen, und deshalb erhielten die vielen Finanzskandale der Reagan-Zeit weniger Beachtung als Bills angeblicher 200-Dollar- Haarschnitt vor ein paar Wochen.
Demokraten, ständig mit innerparteilichen Streitereien beschäftigt, nehmen ihren Gegnern die Arbeit ab, so daß die Republikaner weder Zeit noch Geld aufbringen mußten, um gegen die Nominierung von Lani Guinier als Leiterin der Bürgerrechtsabteilung des Justizministeriums anzukämpfen. Die Demokraten im Senat fielen schlicht auseinander, da war auch mit dem besten Willen nichts mehr zu kitten, und die Presse erging sich in einem Wust von Falschinformationen.
Zeitungen im ganzen Land bezeichneten Ms. Guinier als „Quotierungs-Queen“ – obwohl sie immer gegen die Quotierung aufgetreten ist. Es hieß, sie wolle Wahlen durch Minderheitenvertreter kontrollieren lassen – obwohl ihre Äußerungen zur kumulativen Wahl darauf abzielten, durch Manipulation zustandegekommene rein schwarze Wahlbezirke abzuschaffen. Sie wurde als wilde Rassenvertreterin gebrandmarkt, obwohl das von ihr empfohlene Wahlverfahren vom Justizministerium der Regierung Bush in 35 Einzelstaaten genehmigt wurde – und obwohl das Justizministerium der Regierung Bush sogar vor Gericht ging, um Gesetze zu verteidigen, wie sie Ms. Guinier vorgeschlagen hat, mittels derer weiße Mehrheiten gehindert würden, ständig die lokalen Wahlbestimmungen zu ändern, um Minderheitenkandidaten den Weg zum Erfolg zu versperren.
Während sich die Demokraten im Kongreß zerfleischten, erhielt Bill keinerlei Unterstützung; und ohne Parteidisziplin konnte er sie auch nicht erzwingen (da war nichts mehr zu kitten, siehe oben). Und deshalb zog er Guiniers Nominierung zurück, mit der Begründung, er habe ihre Schriften nicht gelesen. Vermutlich hatte er auch nicht gelesen, wo ihre Vorstellungen in der Vergangenheit realisiert worden waren. Und so schaffte es Bill, die Partei noch stärker zu zersplittern – den Zentristen war er zu radikal, den Progressiven zu zentristisch, und alle halten ihn für willensschwach.
Aber daran ist doch nichts neu – das ist doch bloß der Tanz der Demokraten. Der Unterschied zwischen diesem Tanz und der Choreographie der Republikaner liegt darin, daß die Vereinigten Staaten jetzt Clarence Thomas haben, aber nicht Lani Guinier. Ein Beispiel für die vernünftigen Ansichten von Richter Thomas (im Vergleich mit der unverantwortlichen Guinier) ist seine im Obersten Gerichtshof vorgetragene Meinung, Gefängniswärter dürften Gefangene prügeln – solange keine Narben zurückbleiben.Marcia Pally
Aus dem Amerikanischen von Meinhard Büning
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