Short Stories from America: Der neue rassistische Chic
■ ...existiert nur in der Phantasie einiger Jammerer. In Wirklichkeit ist Rasse in Amerika überhaupt kein Thema mehr
Der Simpson-Prozeß hat deutlich gemacht, daß Amerika eine rassistische Gesellschaft ist. Alle Medien des Landes haben das gemeldet und melden es weiter. Am 16.Oktober demonstrierten in Washington Hunderttausende schwarze Männer dagegen.
Aber Amerika ist keine rassistische Gesellschaft. Das weiß ich genau, denn auf dem Titelblatt der New Republic, der angesehenen Zeitschrift aus Washington, hieß es klipp und klar: Rasse ist in Amerika kein Thema mehr. Die Zeitschrift brachte zum Beispiel einen Artikel über rassistische Vorurteile gegenüber einem schwarzen Professor der Harvard Law School. Darin wurden ausführlich Anschuldigungen wiedergegeben, er habe einige Artikel auf der Liste seiner veröffentlichten Arbeiten gar nicht selbst geschrieben; außerdem zitierte der Artikel zahlreiche negative Reaktionen von seiten der Fakultät und der Studenten. Irgendwann, ziemlich zum Schluß, hieß es dann immerhin, die Anschuldigungen seien falsch. Aber gedruckt wurde der Artikel natürlich trotzdem.
Wer die Kürzungen im Sozialhilfebereich als rassistisch bezeichnet, geht zu weit – genauso wie diejenigen, die die unverhältnismäßig vielen Gefängnisstrafen für Schwarze auf Rassismus zurückführen. Eine viel wahrscheinlichere Erklärung für die unproportional hohe Kriminalitätsrate unter Schwarzen liefert nämlich Dinesh D'Souza in seinem neuen Buch „Das Ende des Rassismus“. Die Schwarzen, so enthüllt er darin, haben eine minderwertige Kultur. Deshalb versagen sie in der Schule, sind für normale Arbeitsplätze nicht verwendbar und begehen Verbrechen, für die man ins Gefängnis kommt.
Und außerdem, so D'Souza, sollten sich Schwarze in Amerika nicht beklagen. Denn 1. sei die amerikanische Sklaverei in erster Linie keine Rassen-, sondern eine ökonomische Frage gewesen; 2. hätten die Südstaaten nach der Abschaffung der Sklaverei die Rassentrennung eingeführt, um die Schwarzen vor Lynchmobs zu schützen; und wenn 3. „Amerika als Nation den Schwarzen als Gruppe Wiedergutmachung für die Sklaverei schuldet, was schulden dann die Schwarzen als Gruppe Amerika für die Abschaffung der Sklaverei?“
Da mir Leute wie D'Souza den Rücken stärken, bleibe ich dabei: Rassismus ist in Amerika kein Thema. Es gibt zwar Leute, die die neuesten Angriffe gegen die Programme zur Förderung der Gleichberechtigung als rassistischen Rückschlag bezeichnen, aber die suchen nach Erklärungen, wo es gar keine gibt. Im Juli beendete Kalifornien diese Programme an seinen neun Universitäten mit 152.000 Studenten. Im gleichen Monat entschied der Oberste Gerichtshof, Maßnahmen zur Förderung der Gleichberechtigung in der Öffentlichkeit seien wahrscheinlich verfassungswidrig; und bei der Ziehung der Grenzen für die Wahlbezirke dürfe nicht mehr darauf geachtet werden, daß Minderheiten stärker im Kongreß vertreten seien. Aber der Grund für diesen Wandel liegt nicht in der zunehmenden Toleranz gegenüber rassischem Ungleichgewicht in der Ausbildung, im Geschäftsleben und in der Verwaltung.
Eine bessere Erklärung liefert vielmehr „The Bell Curve“ von Charles Murray und Richard Bernstein. Schwarze, so wiesen sie nach, haben niedrigere Intelligenzquotienten als Weiße – und deshalb gibt es keinen Grund, ihnen Arbeitsplätze und Verantwortungen zuzuschanzen, denen sie gar nicht gerecht werden können. Viele Wissenschaftler bezeichnen das Buch zwar als statistischen Blödsinn, aber es wurde 400.000mal verkauft.
D'Souzas Buch hat eine Auflage von 100.000; seine Geschichte der Rassenbeziehungen in den USA wird unterstützt durch einen Artikel in der Conservative Review mit dem Titel „Themen der amerikanischen Geschichte: Lynchen in der richtigen Perspektive“. Der Autor Dwight Murphey argumentiert, Schwarze sollten sich nicht über Amerika beklagen, weil in den Jahren nach dem Bürgerkrieg auch einige Weiße gelyncht wurden. Außerdem, schreibt Murphey, wurden die Schwarzen gelyncht, weil Verbrechen unter Schwarzen „so verbreitet und so empörend“ waren, daß man den Gemeinden keine Prozesse zumuten konnte.
Einige Liberale behaupten nun, diese Bücher seien selbst Belege für den Rassismus in Amerika. Anthony Lewis zum Beispiel schrieb in der New York Times über den neuen „rassistischen Chic“. Laut Lewis haben die Bücher von D'Souza und Murphey die schlichte Botschaft, es gebe „nichts, wofür sich weiße Amerikaner schämen müßten: Wenn Schwarze Probleme haben, ist das ihre eigene Schuld... Macht euch also keine Gedanken mehr wegen eurer Gefühle gegenüber Schwarzen.“
Aber Lewis' Ansichten sind doch nur Überreste des Gejammers aus den sechziger Jahren. Und wenn die Statistiken in „The Bell Curve“ noch so gründlich widerlegt werden und die Geschichte D'Souza noch so häufig berichtigt: Jeder Mensch mit gesundem Menschenverstand weiß, daß Rassismus in Amerika kein Thema mehr ist. Ich weiß es, weil ich mir die New York Times, den großen Spiegel amerikanischen Lebens, einmal genauer angesehen habe. In den letzten Monaten wurden nur zwei Gesichter mehrfach abgebildet: das von General Colin Powell – Vorzeigeheld des Golfkrieges und Autor einer kürzlich erschienenen Autobiographie – und das von O.J. Simpson. Beides schwarze Männer. Der einzige Weiße, dessen Gesicht auf dem Titel erschien, war der Papst. Und der ist noch nicht mal Amerikaner. Marcia Pally
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