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Short Stories From AmericaLatex für die Fenster zur Seele

■ Es gibt keine Alternative zu Madonna

„Sex“ ist raus, und das ist eine große Erleichterung. Raus wie herausgekommen, prophylaktisch in seine Buch-Folie eingeschweißt, aber auch raus wie out, verbannt in die Welt der Mythen, wie manche sagen; andere meinen: verloren im Orkus der Vergessenheit. Was mich angeht: Von präpubertären Ejakulationen möchte ich kein Wort mehr hören, und ich bin überzeugt, daß „Sex“ in Amerika gewaltige Wirkung haben wird. Erstens hatte mich das Buch dazu bewogen, für Madonna als Präsidentin zu stimmen. Für mich ist das ein gewaltiger Schritt. Es bedeutet nämlich, daß ich mit meiner langjährigen Tradition gebrochen habe, den Namen Adlai Stevenson auf den Stimmzettel zu schreiben, den Namen eines Mannes, der zweimal gegen Eisenhower kandidierte und zweimal verlor, und der sich dadurch auszeichnete, daß er nicht nur denken konnte, sondern auch die Orthographie beherrschte. Es bedeutete weiterhin, daß ich auch nicht für Penn & Teller gestimmt habe, die derzeit modischen Zauberer aus der TV- Schauerserie. Ich hatte ihnen ernsthafte Chancen eingeräumt, weil ihre Zaubershow viel mit Reagonomics gemein hat (und schließlich hatte Reagan einen Erdrutschsieg davongetragen). Aber letzten Endes hat mich doch Madonna überzeugt. Es gibt keine Alternative.

Meine Stimme für Madonna hat wenig mit dem Buch „Sex“ zu tun, das über Sex nichts Neues zu bieten hat, ja noch nicht einmal über Wirtschaftspolitik, über die doch heutzutage jeder etwas zu sagen weiß. Für Madonna habe ich gestimmt, weil sie nicht nur die besten Eigenschaften unserer erfolgreichsten Politiker vorzeigen kann, sondern von einigen sogar viel mehr. Ich kann mich zum Beispiel nicht erinnern, daß Madonna jemals das Wort Rezeption mit dem Wort Rezession verwechselt hätte, wie Bush bei einer Rede in Ridgewood, New Jersey.

Madonna hatte eine bessere PR als die anderen Präsidentschaftskandidaten (ein Exklusiv- Interview in Vanity Fair veranlaßte New York Times und New York Magazine, Artikel über ihren Agenten beziehungsweise Fotografen abzudrucken nach dem Motto: immer noch besser als gar nichts). Sie hat eine schönere Frisur als alle anderen (auch wenn sich Clinton weiß Gott alle Mühe gibt), ganz zu schweigen von ihrer Unterwäsche. Und vor allem hat Madonna das, womit auch Reagan, Bush und Perot Amerika für sich zu gewinnen wußten, das gewisse Etwas, das Amerika liebt.

Amerika hat Ronnie geliebt, weil er sagte, wir könnten mit unserem Taschengeld lauter schlimme Sachen machen, und das wäre schon ganz in Ordnung so. Dann lächelte er auf uns hernieder und sagte, wir wären brav. Ging etwas kaputt, dann machte er es wieder heil, wie das Pappis eben so tun. Wir liebten ihn, weil er sagte, wir könnten rausgehen und mit unseren Pennies spielen, und abends schliefen wir ein mit seiner beruhigenden Stimme im Ohr.

Das können wir bei Madonna auch, und ist ihre Stimme denn nicht viel schöner? Sie sagt, wir können uns lauter schlimme Sachen mit Spieljungs und Spielmädchen wünschen und alle möglichen Spiele spielen, und trotzdem singt sie uns vor, daß wir brav sind. Auf den Seiten von „Sex“ wimmelt es von Gruppen-Greifereien. Die Akteure posieren wie Kinder für Mammis Kamera, bevor sie die Kerzen auf dem Geburtstagskuchen auspusten dürfen. Und im Hintergrund hängt das Kruzifix. Wir können fröhlich vögeln, erzählt sie uns, und ebenso fröhlich zur Beichte gehen – Wiegenlieder und Liturgien für schuldbewußt niedergeschlagene Augen. Nicht umsonst heißt sie Madonna. Besonders den Mädchen weiß sie zu erzählen: Hure könnt Ihr sein und Heilige zugleich, und trotzdem „sind wir doch alle eine Familie“.

Ich habe für Madonna gestimmt, weil sie viel schönere Familienwerte hat als alle anderen. Bei Ronnie waren wir so glücklich über sein beruhigendes Gemurmel, daß wir nie merkten, wo die Pennies hingingen, und plötzlich hatte die Familie keine mehr. Das könnte uns bei Madonna nie passieren, denn anders als bei den Pennies geht einem die Lust an „Sex“ niemals aus (oder meine ich Sex?). Wenn man sich in eine dünne Hülle zwängt – Folie für Bücher, um die Augen zu schützen, Latex für die anderen Fenster zur Seele – dann ist auch der Begierde der Segen sicher.

Ronnie und Madonna sind das einzig Wahre. Bush war dagegen nur ein Surrogat. Amerika liebte ihn, weil er sagte, er würde wie Ronnie sein. Er sagte, wir könnten all diese schlimmen Dinge mit Bomben tun und wären trotzdem im Recht. Wenn etwas schief lief, kümmerte er sich darum, und dann erschien er in CNN und sagte, wir wären brav. Bush hat Amerika nicht verloren, weil er nichts mehr in Ordnung bringen konnte; er hat verloren, als er uns nicht mehr glauben machen konnte, er könne alles in Ordnung bringen.

Die LeserInnen werden sich vielleicht fragen, warum nicht Perot meine Stimme gekriegt hat. Die Antwort lautet: Er hat nicht die richtige Vision. Perot sagt, wir dürfen lauter schlimme Dinge im Geschäftsleben tun. Wir dürfen bestechen und betrügen. Das wissen die Amerikaner schon längst. Madonna aber sagt, wir können ungefährdet Sex machen, und mit dem Segen des Himmels obendrein, und das glaubt im Ernst niemand. Wenn wir ihr glaubten, wäre das mal was ganz Neues. Marcia Pally

Aus dem Amerikanischen von

Meino Büning

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