Shooting-Stars der deutschen Kunstszene: Das Prinzip Furunkel
Man kann es sich vorstellen wie Ötzi und Knut im Udo-Jürgens-Musical: Die Künstler Jonathan Meese und Daniel Richter erweitern ihren Archäologie-Zyklus im Helms-Museum.
Der Londoner Graffiti-Künstler Bansky schmuggelte 2005 ein Stück Felsen in das Britische Museum, auf dem ein Jäger und ein Stier zu sehen sind - und ein Einkaufswagen. Einige Tage hing es unbeachtet, heute gehört es in die permanente Sammlung. Jonathan Meese und Daniel Richter hätten ihren Eingriff in die Dauerausstellung des archäologischen Landesmuseums in Hamburg-Harburg gerne weniger subtil vorgenommen. "Ich hätte wie immer am liebsten alles zerstört, drei Millionen Jahre Geschichte durch die große Mühle gezogen und ein neues Brot draus gebacken", so Meese anlässlich der Eröffnung des "archäologischen Schreckens", einer erweiterten Version ihres gemeinsamen Werkzyklus "Die Peitsche der Erinnerung".
Die Autorität, fügte Meese hinzu, habe ihn aber daran gehindert. Die Autorität, das ist nicht der Archäologe Andreas Schäfer, der in Stade einen gut erhaltenen Bischof aus dem 12. Jahrhundert freilegte und die Künstler zu der Auseinandersetzung animierte. Schon gar nicht ist es die Direktion des zutiefst braven Helms-Museums, das von den wuchtig-freien Bildwelten Richters und dem anarchischen Assemblage-Landschaften Meeses Steinzeiten entfernt ist. Man will sich cool geben und wirbt, dass die Künstler "inmitten der prähistorischen Exponate ein Assoziationsfeuerwerk zur Archäologie" abfeuerten.
Tatsächlich brachte man die meisten der Exponate außer Reichweite und überließ den beiden das weitgehend leere Obergeschoss, um ihre inzwischen weit über hundert Gemälde, Skizzen und Objekte einzurichten. Nur im Eingangsbereich blieben einige Vitrinen und Schautafeln erhalten, dort kamen Meese und Richter wegen Zeitmangels aber kaum zum Zug: Leere Leinwände stehen herum, ein Skelett unter Glas hat Gesellschaft von einer Comicfigur bekommen. "Wir hatten noch einen Haufen Müll drapiert, aber der war am nächsten Morgen verschwunden", sagt Daniel Richter.
Die Autorität, das ist Daniel Richter. Meeses Ästhetik dominiert zwar auf den ersten Blick, aber Richters Ästhetik bildet das starke Rückgrat. Meese ist die Diva, er der Impresario, Meese der Sammler, Richter der Jäger. Nicht zufällig finden sich in dem Bildprogramm des Zyklus viele Anspielungen auf das polare Prinzip der Kulturgeschichtsschreibung von Romulus und Remus bis Stan Laurel und Oliver Hardy. Farblich dominieren scharfe Kontraste zwischen Schwarz und Weiß, Neon und versuppter Mischpalette. Die Ausstellung funktioniere "nach dem Prinzip Furunkel", sagt Richter: "Man legt eine Scheibe Ei oder ein Stück Schinken zur Kühlung drauf, aber es wächst immer weiter." Selbstredend sind ein belegtes Brot mit Schinken und eines mit Ei Teil der Installationen, dazu reichlich Bananen, Stofftiere (vorzugsweise Spinnen und sonstige seit dem Paläozoikum bekannte Krabbeltiere), Dutzende Skelette, Schädel und ausgestopfte Tiere. An schwarzen Stellwänden präsentieren sich die großformatigen Bilder, Zeichenserien und Fotomontagen.
Aber auch Richter hat gegen die Biederkeit des Harburger Museums zurückstecken müssen. Er durfte nicht mit dem Presslufthammer gegen den "sozialdemokratischen Horror" der Halle mit ihren abgehängten, lastenden Decken und dem grau-weißen Teppichboden vorgehen. Auch wurden zur Vernissage nicht ein paar Jungs aus der Nachbarschaft eingeladen, zum Sound der Alarmanlagen der Vitrinen zu rappen. Stattdessen benahm sich das Harburger Publikum bei der Vernissage am Freitagabend wie bei der Premiere eines Udo Jürgens-Musicals mit Ötzi und Knut in den Hauptrollen. "Zupf ihm doch ein Haar aus, dann hast du einen echten Meese", empfahl ein Mann seiner Begleitung im Rücken des Langmähnigen. Es wurde fotografiert, gefilmt und darüber spekuliert, wie viel die Zeichnungen einmal wert sein dürften, die beide geduldig auf Zettel, Programmhefte und im Falle einer Kulturpolitikerin in ihren Abgeordnetenausweis verfertigten. Manche stellten sich deswegen mehrmals an. Ein besonders Mutiger fragte Richter, was er sagen würde, wenn er eine Banane aus der Installation essen würde. "Guten Appetit", erwiderte er. Schnell lagen nur noch die Schalen herum.
Und doch blitzen in dieser Atmosphäre der Banalität (des Ortes, des Publikums und der Geste der Installation) inspirierende Funken wie in den Gemeinschaftsbildern von Clemente, Basquiat und Warhol auf. Hier ist es das Spiel mit der Selbstbezogenheit der Künstler und der Selbstvergessenheit der Geschichte. Sie machen sich gegen die zähe Last und die undurchdringlichen Schichten der Vergangenheit mausig, versehen alles mit ihrem Namenszug und ihren Sprüchen ("Daniel ist nicht doof, Jonathante ist leider doof"), werfen sich als Dragqueens in Positur. "Die Selbstbezüglichkeit ist ehrlich, weil wir uns als Leichen betrachten", sagt Richter. "Wir sind zwei Moorleichen, zwei goldene Skelette", sagt auch Meese. Dann stellen sie sich neben einen Knochenmann aus Gummi, der ein Schild trägt: "Dieses Bild ist drei Trillionen Mark wert". Zwei Dada-Clowns, die sarkastisch ihrem Marktwert winken. Tröstlich, dass sie wenigstens in dem mumifizierten Bischof einen Kumpel gefunden haben.
Jonathan Meese und Daniel Richter: "Der archäologische Schrecken". Bis 25. Mai im Helms-Museum, Hamburg-Harburg, Harburger Rathausplatz 5, Di.-So. 10-17 Uhr
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