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„Shäme to meet the Nazi Waldheim“

■ Drei Präsidenten und Tumulte zur Festspieleröffnung / Amerikanisch-jüdische Studenten protestierten / Robert Jungk forderte Abkehr von der Atomenergie / Keine Konzession Havels

Peter Arp und Martin Lettmayer

Salzburg (taz) - Wie das Leben so spielt. Während der österreichische Präsident Kurt Waldheim anläßlich seines Salzburger Festpielbesuches mit allen militärischen Ehren empfangen wurde, musizierte für die Präsidenten Havel und Weizsäcker auf dem Salzburger Flughafen friedlich die „Blasmusikkapelle Salzburg-Aigen“. Das war der Auftakt des international umstrittenen Besuches. Freundlich das Wetter, freundlich die Worte: „Wir haben Havel als Dichter und Denker eingeladen, und freuen uns sehr, daß er als Staatsmann kommt“, betonte der Salzburger Landeshauptmann vor dem Empfang. Ganz so privat war Havels Stippvisite also nicht.

Doch der alles entscheidende Händedruck zwischen Havel und Waldheim ging im Tumult unter. Während es zwischen den über hundert JournalistInnen und FototgrafInnen und den Sicherheitskräften zu Handgreiflichkeiten kam und der Leiter der Präsidentschaftskanzlei des tschechoslowakischen Präsidenten, Fürst Schwarzenberg, unadelige Ohrfeigen austeilte, eilten die eigentlichen Hauptpersonen ganz nebenbei zum Festakt.

„Shame to meet the Nazi Waldheim“ brüllten kurz zuvor drei Aktivisten des „North American Jewish Student Network“. An ihrer Spitze der Rabbi Avi Weiß, der Waldheim bei dessen öffentlichen Auftritten schon des öfteren verbal attackiert hatte. Diesmal allerdings galt der lautstarke Angriff den beiden Salzburg-Besuchern. „Weizsäcker hätte Waldheim nie treffen dürfen. Es ist eine furchtbare Schande. Das wirft Deutschland weit zurück“, meinte David Abraham, nachdem die Staatspolizei die drei Protestierer umgehend aus dem Festspielfoyer gezerrt und vorläufig festgenommen hatte.

Draußen warteten noch andere Demonstranten auf Havel. Jene Salzburger, die sich seit Jahren gegen die in unmittelbarer Grenznähe zu Österreich liegende tschechische Atomfabrik Temelin wehren, hatten ein 700 Meter langes Anti-Atom-Plakat entrollt. Sie wurden angeführt vom Friedensforscher Robert Jungk, der Havel am Nachmittag eine Petition überreichte. „Ich möchte, daß der Besuch Havels und Weizsäckers in Salzburg zum Anlaß wird, den international falschen Weg der Atomenergie endlich zu beenden. Ich möchte, daß Präsident Havel bei sich den Anfang macht“, meinte Jungk.

Vor persönlich geladenem Publikum hielt Vaclav Havel dann die Eröffnungsrede der 70. Salzburger Festspiele: „Allzuhäufig gebiert in diesem Winkel der Welt die Angst vor einer Lüge nur eine andere, eitel Hoffend, daß sie als Rettung vor der ersten die Rettung vor der Lüge überhaupt sei. Die Annahme, straflos durch die Geschichte lavieren und die eigene Biographie umschreiben zu können, gehört zu den traditionellen, mitteleuropäischen Wahnideen. Versucht jemand, das zu tun, schadet er sich und seinen Mitbürgern.“

Wem auch immer dieser Satz gegolten haben mag, eines ist sicher: Der im Vorfeld der Begegnung kritisierte „Kniefall“ Havels vor Waldheim fand nicht statt. Und sein bundesdeutscher Kollege Richard von Weizsäcker fungierte bei diesem Blitzbesuch quasi als diplomatischer Händchenhalter. Das Protokoll hatte ihn exakt zwischen Waldheim und Havel plaziert. Auch während des gemeinsamen Mittagessens konnte Waldheim keine tieferen Freundschaften schließen. Er blieb anschließend als Festspielgast zurück, während sowohl Weizsäcker als auch Havel sich eilig in Richtung Heimat absetzten. Havel hat sich wohl den protokollarischen Gepflogenheiten gebeugt, er hat dennoch aufrechten Ganges Salzburg passiert.

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