Sexueller Missbrauch: Nach dem Training zum "Spermatest"

Der ehemalige schwedische Hochsprungweltmeister Patrik Sjöberg klagt die Trainerlegende Viljo Nousiainen an. Dieser soll ihn im Alter von 11 bis 15 Jahren missbraucht haben.

Der Trainer und sein mutmaßliches Opfer: Nousiainen und Sjöberg 1995 in Schweden. Bild: dpa

STOCKHOLM taz | Er hatte den Ruf eines Genies im schwedischen Spitzensport. Sprungtrainer Viljo Nousiainen galt als Mann hinter den Erfolgen diverser Hochspringer, die es in den letzten Jahrzehnten in die Weltspitze geschafft haben.

Nun wird die Trainerlegende des sexuellen Missbrauchs an Jugendlichen angeklagt. Und es ist eine andere Sportlegende, Patrik Sjöberg, Hochsprungweltmeister des Jahres 1987, der den Stein ins Rollen gebracht hat.

Er sei mehrere Jahre lang missbraucht worden, berichtete Sjöberg am Mittwochabend in einem Interview mit dem schwedischen Fernsehen – vom Eintritt in die Pubertät mit elf bis etwa zu seinem 15. Lebensjahr: "Er hat es wissenschaftliche Tests genannt."

Als Sportler sei man gezwungen, den Körper und alle Körperfunktionen ständig zu messen und zu kontrollieren, habe Nousiainen – der damals nicht nur sein Trainer, sondern auch sein Stiefvater war – ihm erklärt. Nur so könne man genau die Grenzen der Leistungsfähigkeit bestimmen. Im Laufe der Zeit seien die sexuellen Übergriffe zu einem Ritual geworden: "Er nannte es Spermatest."

Zwei weitere Hochspringer bestätigen Vorwürfe

Unmittelbar nach Sjöbergs Interview bestätigten der norwegische Hochspringer Christian Skaar Thomassen und sein schwedischer Kollege Yannick Tregaro die Anschuldigungen gegen Nousiainen. Tregaro, in den neunziger Jahren ein aussichtsreicher Junior-Hochspringer, berichtete, exakt die gleichen Erfahrungen wie Sjöberg mit diesem Trainer gemacht zu haben. Bei ihm hätten die Übergriffe im Alter von 12 bis 13 Jahren begonnen. Tregaro ist mittlerweile selbst Sprungtrainer und betreut den Dreispringer Christian Olsson und mehrere schwedische Hochspringerinnen.

Nousiainen kann zu den Anschuldigungen nichts mehr sagen. Er ist 1999 im Alter von 55 Jahren gestorben. Warum sie geschwiegen haben und es nie zu einer Anzeige kam, konnten die drei Sportler, die sich bislang gemeldet haben, nur schwer erklären. Sjöberg berichtet, dass eigentlich sein norwegischer Kollege Thomassen der Auslöser für seinen Entschluss gewesen sei, an die Öffentlichkeit zu gehen.

Dieser habe ihm gegenüber vor zwei Jahren entsprechende Andeutungen gemacht und ihn nach ähnlichen Erfahrungen mit Nousiainen gefragt. Zunächst hatte Sjöberg aber abgeblockt. Mit ein bisschen Abstand fragte er sich jedoch: "Was mache ich hier eigentlich?"

"Es war zu schwierig", sagt auch Tregaro. Wegen Spannungen mit seinen eigenen Eltern sei der Trainer so etwas wie eine Vaterfigur für ihn gewesen. Er bedauert nun: "Statt aufzuklären habe ich mich sogar an der Glorifizierung von Nousiainen beteiligt." Der Hochspringer Stefan Holm wiederum, der 2008 seine Karriere beendet hat, von seinem eigenen Vater trainiert wurde, Nousiainen aber lange als Mentor hatte, zeigte sich überrascht. Er habe nicht nur selbst nie solche Erfahrungen mit Nousiainen gemacht, sondern auch im Umgang mit seinen Kollegen und diesem Trainer "nie etwas Seltsames bemerkt".

"Ich weiß, dass es mehr Opfer gibt"

Viljo Nousiainen war in den 70er Jahren vom schwedischen Leichtathletikverband angestellt worden. Ihm wurde ein spezielles Talent nachgesagt, das Potenzial junger Sportler ausschöpfen zu können. Sjöberg ("Ich weiß, dass es mehr Opfer gibt") geht jetzt davon aus, dass sich weitere Betroffene melden werden und kritisiert die Sportvereine und Sportorganisationen wegen mangelnder Kontrolle: "Es ist ja nicht unbekannt, dass sich Pädophile in diese Welt schummeln."

Und er wundert sich, dass weder Eltern noch Funktionäre misstrauisch wurden: "Er war ein alleinstehender Mann, bei dem zu Hause alle Konsolen, alle neuen Computerspiele, viele Musikinstrumente herumliegen und bei dem man die Jungen dann einfach übernachten lässt."

Karin Mattsson Weijber, Vorsitzende des schwedischen Reichssportverbands, äußerte ihr Bedauern über das Geschehene. Man versuche schon seit einiger Zeit, Trainer besser zu kontrollieren und verlange beispielsweise auch ein polizeiliches Führungszeugnis: "Aber das hier ist natürlich ein Augenöffner", sagte sie.

Patrik Sjöberg macht sich nachträglich Vorwürfe, geschwiegen zu haben: "Eigentlich hab ich alle, die nach mir kamen, verraten. Er hat damit ja nicht aufgehört, sondern sich immer neue Jungen gesucht. Und das habe ich mit ermöglicht." Sein Verhältnis zu Nousiainen fasst er mit einem Satz zusammen: "Ich habe ihn gehasst. Aber ich habe ihm alles zu verdanken."

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