Serien gucken bildet. Jüngstes Beispiel: „The Get Down“: Wo ein Wille ist,ist auch ein Bildschirm
Die Couchreporter Heute: Jenni Zylka
Hilfe!! Peak TV!! Das seufzen die USA schon seit Längerem. Es bedeutet, dass es im dortigen Äther nach Ansicht einiger MacherInnen und KonsumentInnen schlichtweg zu viel sehenswürdiges Fernsehen gibt. Und es darum nicht weiter nach oben gehen könne, an Qualität und Einfallsreichtum. Das Fernsehen als Kulturform – und im Speziellen die Serie als deren ästhetisch anspruchvollste Ausprägung – stehe sozusagen kurz vor dem Kollaps. Wie ein See an der Grenze zum Umkippen.
Welch ein Luxusproblem! Glücklicherweise ist das bei uns nicht so. Unser Tal war nämlich tiefer. Auch wenn meine FreundInnen, diese Memmen, dauernd jammern, nicht genug Zeit für Serien aufbringen zu können, und WIE man das denn mache, WANN man das denn alles gucke, und überhaupt, es gebe einfach ZU VIEL, sie müssten ja auch noch in den Garten. Ppph. Ich muss nicht in den Garten. Und ich verstehe diese Fragen nicht: Wo ein Wille ist, da ist auch ein Bildschirm.
Zumal viele Menschen immer noch zu denken scheinen, dass es sich beim Seriengucken um ein reines Lusterlebnis handelt, um einen freizeitlichen Zeitvertreib, von dem (ähnlich wie beim Computerspielen) nichts bleibt außer ein paar angenehm verbrachten Stunden (Tagen/Wochen), diversen Impulsen für Partygespräche und einem schlechten Gewissen, weil die Spülmaschine nicht ausgeräumt wurde.
Stimmt nicht. Serien machen schlauer. Sie sind pädagogisch wertvoll. Sie bringen einen nicht nur zum (erneuten) Genießen von ihnen zitierter Kulturgüter (habe während „Mad Men“ Season 5 gemeinsam mit Pete Campbell Pynchons „Die Versteigerung von No 49“ durchgelesen und während Season 7 mit Don Draper in Philip Roths „Portnoys Beschwerden“ geschmökert).
Serien können auch kulturhistorisch bilden: Habe soeben im Netflix-Großereignis „The Get Down“, dessen Pilotfolge von Baz Luhrmann inszeniert wurde (der die restlichen Folgen nur noch produzierte, vermutlich aus purer Erschöpfung) mehr über das Verhältnis der frühen Rapper zur Nutzung fremder Beats und Tunes gelernt, als es mir je ein DJ oder MC erklären konnte. In der Geschichte, die 1977 in der ruinösen Bronx und mit dem Übergang von Disco zu HipHop spielt, geht es – neben viel Soziopolitischem – um einen jungen Mann, dessen literarisches Talent und soziale Qual ihn zum Rappen treiben. Um Geld zu beschaffen, veranstaltet er mit Freunden eine illegale Party, auf der sie ein Grandmaster-Flash-Kassetten-Bootleg laufen lassen. Was den Paten des DJing auf die Palme bringt. Die Jungs werden zur Rede gestellt. „Flash is king. I respect a source“, sagt jemand. Und demonstriert damit wunderbar das Bigotte dieser Haltung: Wie kann man nur mit von ungenannt bleibenden KünstlerInnen ausgedachte und eingespielte Beats neueTunes kreieren – und für diese dann genau das Urheberrecht beanspruchen, das man den ErfinderInnen verweigert? Herrlich diskutabel, dieses Thema.
Die Serie an sich erstickt übrigens zu Anfang fast an ihrer Opulenz und kommt dramaturgisch zu langsam in Fahrt. Die Frauenfiguren sind, wie in fast allen Serien, bei denen weder Frauen noch Schwule mitschreiben, vor allem hübsch, sexy und nur selten handlungstreibend. Dennoch: wieder was gelernt!
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