Serie Hegemonialmacht USA (9): Leise knirscht die Kreditmaschine
■ Die Banken in den USA sind in dreifacher Gefahr: Agrarkrise, Ölkrise und Spekulation / Kann "Deregulierung" helfen?
In Amerika geht die Angst um, wenn auch nicht zur finanziellen Provinz herabzusinken, so doch die eindeutige Führerrolle in der globalen „banking community“ abgeben zu müssen. Die diesen Befürchtungen lautstarken Ausdruck verleihen, stören sich in erster Linie daran, daß unter den zehn größten Banken der Welt im letzten Jahr gerade noch zwei Institute US–amerikanischer Nationalität zu finden waren. Führend (vor allem im Wertpapiergeschäft) sind japanische Häuser, was angesichts der überschäumenden Liquidität des Tokioter Finanzplatzes nicht weiter wunder nehmen und beunruhigen muß. Würden die von der Restaurierung nationaler Größe Träumenden etwas von dem Geschäft verstehen, über das sie lamentieren, so sollten sie sich viel eher angesichts der zunehmend sichtbarer werdenden strukturellen Krisensymptome des US–Bankensystems alarmiert zeigen. Faule Kredite zuhause Die Schwierigkeiten, denen sich die US–amerikanischen „commercial banks“ (Geschäftsbanken mit Schwerpunkt im kurz– und mittelfristigen Einlagen– und Kreditgeschäft; keinesfalls mit Handelsbanken zu übersetzen) heute gegenübersehen, beruhen natürlich auf der internationalen Verschuldungskrise. Darüberhinaus sind sie jedoch zu einem guten Teil hausgemacht. Fast alle der knapp 100 Bankpleiten in den USA letztes Jahr sind - wenn nicht gerade kriminelle Energie am Werk war - durch faule „domestic loans“ verursacht. Über 70 300 Bankpleiten zwischen 1982 und 1986 konzentrierten sich auf zehn Bundesstaaten (Kansas, Iowa, Nebraska, Illinois, Missouri, Oregon, Oklahoma, Texas, California, Tennessee). Am meisten Unbehagen bereitet den US– Bankern dabei der desolate finanzielle Zustand der Farmer. In den 70er Jahren dehnte sich der Weltmarkt für Agrarprodukte beträchtlich aus. Die US–Agrarexporte vervierfachten sich, vier Millionen Hektar neues Farmland wurden unter den Pflug genommen. Die Farmer waren gezwungen, sich hoch zu verschulden, um den immensen Kapitalaufwand für Bodenankauf, Melioration, Maschinen–, Dünger– und Saatgutbeschaffung beibringen zu können. Im letzten Jahr stand die gesamte Landwirtschaft der USA mit über 200 Mrd. Dollar in der Kreide. Über ein Viertel dieses Betrages stammte dabei von ländlichen Agrarbanken (d.h. Banken, die über 25 die Landwirtschaft ausgereicht haben). Zu Beginn dieses Jahrzehnts kamen die Nackenschläge: plötzlich war auf dem Weltagrarmarkt ein Überangebot vorhanden, die Preise fielen. Auf der anderen Seite verringerten sich die Kosten für die Farmer keineswegs: zweistellige Preissteigerungsraten für Saatgut, Dünger etc. trieben den Materialaufwand hoch, zweistellige Zinssätze für die aufgenommenen Kredite verteuerten den Schuldendienst maßlos. Das Bruttoeinkommen der Farmer ging zwischen 1979 und 1983 um 25% zurück; der Schuldendienst verschlang davon zuletzt ein Siebtel. Die regelmäßige Begleichung der Zinsverpflichtungen wurde in dieser Situation mehr und mehr die Ausnahme. Für die Banken hieß und heißt dies: mehr und mehr Kreditnehmer bedienen ihre Schulden unre gelmäßig bis gar nicht; mit Zwangsversteigerungen wird versucht zu retten, was noch zu retten ist. Die Landmaschinenhersteller, auch Kunden der Agrarbanken, kommen in Bedrängnis. Schwerer als dies wiegt jedoch, daß sich in einigen Gegenden der Wert von landwirtschaftlichem Grund und Boden halbierte, so daß die Banken mit deutlicher weniger werthaltigen Sicherheiten dasitzen und weitere Kredite abschreiben müssen. Die Banken fühlen diesen Druck umso stärker, da sie gleichzeitig weniger verdienen. Mit dem Wegfall der administrativ verordneten Zinsobergrenzen für bestimmte Einlagen sehen sich auch die ländlichen Banken gezwungen, ihren Kunden marktgerechte Zinsen zu zahlen. Ihre Refinanzierung am Interbankenmarkt verteuert sich, da sie aufgrund ihres schlechten Kreditportefeuilles Risikozuschläge zu bezahlen haben. Gute Kreditkunden können auf der anderen Seite direkt an den Kapitalmarkt herantreten, so daß die Banken mehr und mehr auf ihren schlechten Risiken sitzenbleiben. Ihre Kreditstruktur könnten sie durch Diversifikation verbessern, doch müßten sie hierzu geographisch expandieren, da in der näheren Umgebung des „farm belt“ alles unter der Krise der Landwirtschaft leidet. Genau diese geographische Diversifikation verbietet wiederum ein Bundesgesetz von 1927 (McFadden Act) und eine Vielzahl einzelstaatlicher Gesetze. Der Ausweg, von einer der großen Banken übernommen zu werden, ist durch ein Bundesgesetz von 1956 (Bank Holding Company Act) verwehrt - jedenfalls solange die Kleinbank noch nicht offiziell bankrott ist. Doch während die Agrarbanken leise sterben, lenken spektakuläre Pleiten und Zusammenbrüche die Aufmerksamkeit auf die andere Hauptproblembranche: Energie. Mit der Rezession Anfang der 80er Jahre wurden Überkapazitäten insbesondere im Atomstrombereich sichtbar, bei projektierten neuen Kernkraftwerken liefen die Kosten davon. Der Erdölindustrie machte der Nachfrage– und der gleichzeitige Preisrückgang zu schaffen, neue, immer kostspieligere Explorationen verliefen weitgehend ergebnislos. Das erste Opfer war die Penn Square Bank in Oklahoma City im Juli 1982. Über 80 steckten im Öl– und Gassektor. Als einige Zeit später bekannt wurde, daß sie vor ihrer Pleite Kredite über mehr als zwei Milliarden Dollar aus diesem Bereich an an dere Banken verkauft hatte, gingen die Wogen hoch und vor allem die institutionellen Großeinleger zogen ihre Gelder aus den betreffenden Banken ab. Auch die Continental Illinois Bank in Chicago hatte gekauft... Spekulation und „Leveraged Buy–Outs“ Spekulanten machen in den USA zunehmend Schlagzeilen. In vorderster Linie stehen hierbei die sogenannten Arbitrageure, die Aktien von Firmen aufkaufen, welche kurz darauf Ziel von Fusions– und Übernahme–“Angeboten“ anderer Unternehmen wurden, worauf die Kurse ihrer Aktien in die Höhe gingen und dem Arbitrageur teilweise märchenhafte Kursgewinne bescherten. Diese Marktnische entstand im Gefolge der regen Fusions– und Übernahmetätigkeit (“leveraged buy– outs“, LBOs) der letzten Jahre, wobei die Novität gegenüber früheren Zentralisationsprozessen dieser Art in der Dimension der involvierten Beträge liegt: Milliardentransaktionen sind mittlerweile an der Tagesordnung. Ein Beispiel: Anfang 1985 organisierte die Investment Bank Kohlberg Kravis Roberts & Co. (KKR) einen LBO gegen die Beatrice Corp., einen Nahrungsmittel– und Konsumgüterkonzern, für den Rekordbetrag von 6,2 Mrd. Dollar. Die Bank brachte 417 Mio. Dollar an Eigenmitteln auf und borgte den Rest über „junk bonds“ (das sind hochverzinsliche Anleihen, deren Besicherung praktisch aus den Vermögenswerten der als Übernahmeopfer auserkorenen Gesellschaft besteht). Mit diesem Geld wurden die gesamten Aktien der Gesellschaft an der Börse aufgekauft. Getreu der LBO–Philosophie, daß ein übernommenes Unternehmen in seine Einzelteile zerlegt mehr wert ist als am Stück, wurden die Beatrice– Töchter Playtex, Avis Autovermietung und Coca–Cola Abfüllereien für 2,5 Mrd. Dollar versilbert. Bis Ende 1987 soll die hochverschuldete Firma ihre Verbindlichkeiten aus dem eigenen Cash– flow bis auf zwei Mrd. Dollar reduziert haben und danach wieder zurück an die Börse gehen. Aus dem Verkauf der Aktien an das „Publikum“ werden rund 5,4 Mrd. Dollar erwartet, die KKR zufließen werden (zur Erinnerung: Eigenmitteleinsatz 417 Mio. Dollar). Eine Gefahr für die Stabilität des amerikanischen Bankensystems stellen nun aber nicht die Arbitrageure dar, die aufgrund von Insiderkenntnissen andere Spekulanten im großen Nullsummenspiel der Börse ausnehmen, auch wenn diese Ereignisse sensationsträchtig vermarktet werden können. Besorgnis erregen muß vielmehr das enorm anwachsende Volumen des „junk bond“–Marktes (man spricht heute von über 130 Mrd. Dollar). Gelingt der Coup, so wird die Firma drastisch zur Ader gelassen, die Eigenmittelausstattung sinkt dramatisch. Das derart ausgeplünderte Unternehmen ist weitaus mehr den konjunkturellen Unwägbarkeiten und finanziellen Turbulenzen ausgesetzt als „konservativ“ finanzierte Firmen. Ihre Pleite würde den Wert der auf sie lautenden „junk bonds“ bis auf Null reduzieren. Die in diesem Marktsegment stark exponierten Investment–Banken, die als Marktmacher für „junk bonds“ fungieren, wären hierdurch ins Mark getroffen. Things to come So gesehen wird der nächste Konjunktureinbruch die Nagelprobe darstellen für beide, Geschäftsbanken und Wertpapierbanken. Derzeit kann trotz allem die Situation des amerikanischen Finanzüberbaus als entspannt bezeichnet werden. Der mit einer Rezession untrennbar verbundene Zinsanstieg wird die Probleme aller verschärfen. Die äußerlich–formalen Restriktionen der US–Banken werden fühlbarer werden und die Bestrebungen nach Abbau der Regulationen und Entwicklung eines Universalbankensystems befördern. In der Tat erweist sich das Trennbankensystem zunehmend als Faktor, der die notwendige Stabilisierung des amerikanischen Bankensektors durch Diversifikation (Schaffung zusätzlicher „Standbeine“) behindert. Die Pleiten der Agrarbanken, die Verluste der Einleger, die dringenden Finanznöte der staatlichen Einlagenversicherungen, die Kreditabschreibungen der Großbanken sind so nur Reibungsverluste auf dem Weg der Wiederherstellung einer der kapitalistischen Ordnung adäquaten Struktur des Bankensystems.
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