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■ Serie „Denk-Mal: Das Gedächtnis des Ortes“, Teil 6Steine können sich nicht wehren

Wer am Knirpstum seiner Existenz leidet, sucht nach großen Symbolen. Je unvergänglicher, desto besser, möglichst versehen mit dem Stempel der Ewigkeit. Die Externsteine bieten sich an: Sie verweisen nicht nur bis in die Steinzeit des kulturellen Gedächtnisses, sondern haben tatsächlich rund 70 Millionen Jahre auf den felsigen Rippen.

Dort, wo der Teutoburger Wald am lieblichsten ist, stehen sie rum. Vier Sandsteinhöcker nebst ein paar Ablegern, leicht versetzt nebeneinander, bis zu 38 Meter hoch. Der Zahn der Zeit hat kräftig zugebissen, Kerben, Risse und Falten längs und quer genagt, die Oberfläche in ein bizarres Gesamtrelief verwandelt.

Dann haben Menschen Hand angelegt, ausgehöhlt, geglättet, gemeißelt. Wie sich hier Natur und Kultur bedeutungsschwanger erheben, gefällt dem Genius loci. Der treibt seit langem sein Schabernack. Kein archäologisches Objekt in Mitteleuropa ist heißer umstritten als diese Steine. Man braucht ja nur genau hinzusehen, um zwischen den Ritzen dämonische Fratzen, in den Spalten himmlische Gesichter und mystische Symbole zu entdecken. Die einen behaupten, die Felsen seien schon in vorchristlichheidnischer Zeit bearbeitet worden, die anderen verlegen den Punkt ins christliche Hochmittelalter.

Wenn zur Mittsommerwende die Sonne erwacht, schaut sie durch ein schräges Rundloch in eine halboffene Felsenkammer. Ein Walhalla der Germanen, ein Gestirnsheiligtum? Angeblich orakelte die Seherin Veleda zwischen den Felsen und ermunterte Arminius nach der Schlacht im Teutoburger Wald a.a.O. seine Cherusker. Hier soll auch die altsächsische Kultsäule „Irminsul“ gestanden haben, die Karl der Große zerstörte.

Im Mittelalter wallfahrte in den Teutoburger Wald, wer sich die Reise nach Jerusalem nicht leisten konnte. Die Externsteine bieten ein Felsengrab und einzelne Räume, die der Jerusalemer Grabeskirche nachgebildet sind. Außerdem Christus am Kreuz als Felsrelief aus dem 12. Jahrhundert.

Jahrhunderte später bauten die lippischen Grafen Terassen, Pavillions und Aussichtsplattformen, um sich bei Jagdausflügen zu verlustieren. Weniger lustig gings zu, als sich eine Räuberbande vom Ort inspirieren ließ und Reisende bat, sich bei den Steinen zu erleichtern. Als Muse verkleidet, küßte der Genius loci Scharen von Dichtern und Denkern, unter ihnen J.W. v. Goethe. Der hat dann einen beachtlichen Aufsatz produziert, den aber niemand kennt.

Die Nazis, immer auf der Suche nach „Raum, Geist, Tat und Erbe des nordrassischen Indogermanentums“ ließen die Kultstätte durch die „Ahnenerbe e. V.“ erforschen. Ein Lieblingsobjekt des kultur-historisch so ambitionierten Reichsführer SS, Heinrich Himmler.

Am 21. Juni ruft der Geist der Steine seine obskure Gemeinde. Schamanen und Indianer meditieren bei den angeblich enorm starken Erdstrahlen. Esoteriker und Mystiker lechzen im Sandstein nach geistigem Mehrwert und einer Synthese zum Ganzen. Die ganze Nacht wird getrommelt, geflötet, getanzt. Auch die Wikinger und Neonazis haben sich eingefunden und suchen ihr Runenheil bei den Brocken.

Aber es strömen auch simple Touristen herbei, um die Geistqualitäten des Ortes zu prüfen. Und die Omis, die ihre Kaffeefahrten unterbrechen, um sich hier, im Anblick der steinernen Ewigkeit, an die Vergänglichkeit ihrer morschen Knochen zu erinnern; das fördert dann den Verkauf von Lamadecken. Bascha Mika

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