Serie Bauern und EG (5): Das Agrobusiness sahnt ab
■ Nach herrschender Meinung sitzen die Bauern unter dem "Füllhorn der EG", aber sie bekommen nur einen Bruchteil der Subventionen
Obwohl in der EG mittlerweile alle zweieinhalb Minuten ein bäuerlicher Arbeitsplatz verloren geht und man in Brüssel längst damit begonnen hat, die landwirtschaftlichen Erzeugerpreise zurückzuschrauben, prangert die Presse die angebliche Bauernfreundlichkeit der EG–Ausgabenpolitik an, mit Schlagzeilen wie „Die EG schüttet ihr Füllhorn über den Bauern aus“ (FAZ, 28.2.87). Da wird uns vorgerechnet, wie unverschämt hoch die EG jeden Bauern subventioniert, indem man die gesamten EG–Agrarausgaben durch die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe in der EG dividiert: So gesehen muß dann der europäische Steuerzahler für jeden Hof in der EG runde 9.000 Mark berappen. Doch Vorwürfe dieser Art lenken den Blick von der eigentlichen Verschwendung ab und verurteilen zu Unrecht die Landwirte als die großen Abkassierer. Tatsächlich kommt nur der kleinste Teil der EG– Agrarsubventionen den Bauern zugute. Dies prangerte vor einigen Jahren gar der Europäische Rechnungshof an, indem er beklagte, daß rund 70 Förderung der Landwirtschaft gedachten Haushaltsmittel letztlich in ganz anderen Branchen versickern. Schon ein Blick auf die Ausgaben des Europäischen Ausrichtungs– und Garantiefonds für die Landwirtschaft EAGFL genügt, um zu sehen, daß die unmittelbar Begünstigten der EG–Agrarpolitik nicht die Bauern sind, als vielmehr die Nahrungsmittelindustrie, die Lager– und Kühlhausbetreiber, der Agrarexporthandel - kurz, das „Agrobusiness“. Dem EAGFL obliegt die Finanzierung der gemeinsamen Agrarpolitik. Die Abteilung „Garantie“ bestreitet dabei die aus der Markt– und Preispolitik erwachsenden ge meinschaftlichen Ausgaben, die Abteilung „Ausrichtung“ (der nur 3 zur Verfügung stehen) finanziert die Strukturpolitik. Exporterstattungen Exporterstattungen werden bei der Ausfuhr von agrarwirtschaftlichen Erzeugnissen in Drittländer bezahlt, wenn die Weltmarktpreise niedriger als die entsprechenden innergemeinschaftlichen Preise sind. Diese Erstattungen werden an den Agrarexporthandel ausbezahlt - nicht an die Bauern, denn welcher Bauer exportiert schon Magermilchpulver oder gefrorenes Rindfleisch nach Brasilien? Auch von den Ausgaben für die Lagerhaltung sieht der Bauer zunächst keinen Pfennig. Der Wert der in privaten und öffentlichen Lagerhallen und Kühlhäusern eingelagerten Interventionsbestände ist im übrigen heute gerade noch doppelt so hoch wie die Kosten der Lagerhaltung selbst, so daß es für die Subventionsempfänger oftmals profitabler ist, Lebensmittel zu lagern als zu verkaufen. So läßt sich auch mit dem Kühlen von ranzig gewordener Butter noch Geld machen. Schließlich sind auch die Subventionen aus dem Sektor „Preisausgleichende Maßnahmen“ nur zum kleinsten Teil direkte Zahlungen an die landwirtschaftlichen Erzeuger. Die vielgschmähte „Intervention“ der EG setzt nämlich überwiegend nicht bei den Erzeu gnissen des Bauern, als vielmehr auf der Verarbeitungsstufe an. Nicht die Milch wird subventioniert, sondern das Magermilchpulver und die Butter. Mit dem Aufkauf von Magermilchpulver, der Intervention bei Obst– und Gemüsekonserven, der Verbilligung von Butter für Großbäckereien und für die Eiscreme–Herstellung bekommt die Nahrungsmittelindustrie reichhaltige Subventionen. Deren Produkte sind ohnehin bereits im Anhang der Römischen Verträge - dem EWG–Gründungsvertrag - einem ausdrücklichen besonderen Schutz unterstellt. Insgesamt dürfte der Anteil der Marktordnungsausgaben, der tatsächlich „in die Taschen der Bauern“ fließt, unter einem Sechstel der Gesamtausgaben liegen. Zu den wenigen direkten Erzeugerbeihilfen zählen z.B. direkte Produktionsbeihilfen für den Anbau von Ölsaaten, von Tabak oder Ackerbohnen, sowie verschiedene Ausrichtungsprämien für die Viehwirtschaft. Darüberhinaus nehmen sich die hier nicht aufgeführten Ausgaben der Abteilung „Ausrichtung“ für die Agrarstrukturpolitik und Regionalförderung, gemessen an den Marktordnungsausgaben des EAGFL, sehr bescheiden aus: Sie waren im Haushaltsjahr 1986 mit nur 596 Mio ECU veranschlagt. Kassen klingeln Begründet werden die auf den nachgelagerten Bereich der Verarbeitung und Vermarktung zielenden Instrumente der EG–Agrarpolitik (Exporterstattungen, Lagerkosten, Verarbeitungs– und Verbrauchsbeihilfen) damit, daß sie zur Stabilisierung des agrarischen Preisniveaus beitragen und damit zu guter letzt auch die Erzeugerpreise festigen. Insbeson dere aber die Exporterstattungen, die mittlerweile über ein Drittel aller Agrarausgaben verschlingen, sind ein außerordentlich fragwürdiges Mittel der Marktsteuerung: 1. Angeblich zur Aufrechterhaltung eines vom zu niedrigen Weltmarktpreis abgekoppelten Preisniveaus. 2. Beispiele aus vielen Ländern außerhalb der EG zeigen, daß dergleichen Unterstützung für die gewiß nicht notleidenden internationalen Handelskonzerne keinesfalls notwendig ist. 3. Ohnehin haben die hoch subventionierten Agrarexporte der EG maßgeblich zu dem derzeit verheerenden Preisverfall auf den Weltagrarmärkten beigetragen. Die EG trägt so Mitschuld am Ruin vieler Agrarexporteure der Dritten Welt, deren Erlöse zusammengebrochen sind und die traditionelle Absatzmärkte verlieren, weil sie beim Subventionswettlauf zwischen EG und USA nicht mithalten können. Daß die Gelder aus Brüssel vorwiegend in den Kassen des Agrobusiness klingeln, ist kein Betriebsunfall der europäischen Agrarpolitik. Ein Mißgeschick aus der Sicht der EG–Bürokratie ist es da schon eher, daß sie ihren Weg dahin immer häufiger auf nicht vorgesehenen dunklen Pfaden finden: Der EAGFL muß in seinem Finanzbericht für das Jahr 1985 eingestehen, daß bei 11,9 Mrd. ECU (das ist mehr als die Hälfte des Agrarhaushaltes im selben Jahr!) sogenannte „Unregelmäßigkeiten“ vorlägen. Das Handelsblatt berichtete erst diese Woche von einem großangelegten Betrugsfall: Hochwertiges Fleisch wurde aus Drittländern importiert und als Abfallware deklariert. Gespart wurde so die Importabschöpfung, die billigere Weltmarktprodukte auf den höheren EG–Preis hochschleust. Umgekehrt kassierten die Exporteure hohe Ausfuhrerstattungen, indem sie minderwertiges Fleisch als hochwertige und für Drittländer bestimmte Ware ausgaben. Der europäische Rechnungshof berichtete, daß die gemeldeten betrügerischen Fälle 1985 um 70 Prozent gegenüber dem Vorjahr auf 219 zugenommen hätten. Mit der kriminellen Energie des Agrobusiness, die sich derzeit wieder bei den gewinnträchtigen Verschiebungen von radioaktiv verseuchtem Milchpulver erweist, kann sich die sprichtwörtliche „Bauernschläue“ schon lange nicht mehr messen. Bei diesem Beitrag handelt es sich um eine leicht veränderte Passage aus dem Band „Wer Hunger pflanzt und Überschuß erntet - Beiträge zu einer entwicklungspolitischen Kritik der EG–Agrarpolitik“, der im Juni 1987 bei der BUKO–Agrokoordination, Nernstweg 32 - 34, 2000 Hamburg 50, erscheint. in in Mio ECU ausgaben 1. Exporterstattungen 6 716,1 34,1 darunter für - Getreide 1 076,7 - Milch u. Milcherzeugnisse 2 028,2 - Rindfleisch 1 338,6 2. Private und öffentliche Lagerhaltung 4 427,5 22,4 darunter für - Butter 1 325,8 - Rindfleisch 1 094,1 - Magermilchpulver 580,0 3. Rücknahmen u.ä. Maßnahmen 828,6 4,2 darunter - Beihilfen zur Destillation von Wein 599,o 4. Preisausgleichende Beihilfen 7 577,0 38,5 darunter - Interventionen bei verarbeiteten Obst– und Gemüseerzeugnissen 817,3 - Interventionen bei Magermilchpulver 1 827,1 - Interventionen bei Butter 403,0 5. Ausrichtungsprämien 157,8 0,8 darunter - Prämien für die Nichtvermarktung von Milch und Umstellung von der Milchkuh– haltung auf die Rindfleischerzeugung 41,2 Gesamtsumme 19 707 (Quelle: Der EAGFL, hg. von der Kommision der EG, Brüssel 1986)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen