■ Serbische Verbände greifen den Kessel von Bihać an: In der Klemme
Noch stehen Vance und Owen vor dem Scherbenhaufen ihrer Bosnien-Politik, da wird die UNO auch schon anderswo von ihren Versäumnissen eingeholt. Seit über einem Jahr sind in den von Serben besetzten Gebieten Kroatiens Blauhelme stationiert. Ihren Auftrag, sämtliche Milizen und Freischärlertruppen zu entwaffen und die Wiederansiedelung der vertriebenen Menschen in die Wege zu leiten, haben sie nicht erfüllt, konnten sie aufgrund ihrer militärischen Unterlegenheit wohl nicht erfüllen, ohne daß ihre Bewaffnung und ihr Mandat entsprechend verändert worden wären. Just aus diesen UN-Schutzzonen Kroatiens heraus haben nun serbische Verbände zu einer Offensive auf den Kessel von Bihać angesetzt, eine Offensive auf 300.000 Muslime, zur Hälfte Flüchtlinge, die seit bald einem Jahr belagert sind.
Wie in Srebrenica so wurden auch in Bihać die Eingeschlossenen immer wieder von schwerer serbischer Artillerie beschossen. Anders aber als in der ostbosnischen Stadt wurden die Menschen im äußersten Nordwesten Bosniens in den letzten Monaten über die angrenzende UN-Schutzzone in Kroatien relativ regelmäßig mit den nötigsten Lebensmitteln versorgt.
Ob das so bleibt, könnte sich schon bald in Srebrenica entscheiden. Die Stadt und ihre Umgebung wurden von der UNO zwar zur Schutzzone erklärt, doch die 150 Kanadier, die diesen Schutz garantieren sollen, sind den serbischen Verbänden hoffnungslos unterlegen, und die Blauhelme, die zur Verstärkung anrücken sollen, werden von den Serben blockiert. So könnte sich die UNO schon bald vor die Entscheidung gestellt sehen, Srebrenica aufzugeben und mit der ihr anvertrauten Restbevölkerung abzuziehen, die „ethnische Säuberung“ also hinzunehmen oder aber Srebrenica wirksam zu verteidigen. Dies setzt die Sicherung des Nachschubs und die Ausschaltung serbischer Artilleriebasen voraus, offensive militärische Schritte.
In diesem Fall aber – das haben Karadžićs Mannen unmißverständlich angekündigt – würden die bosnischen Serben die Blauhelme als Feinde behandeln. So drängt sich der UNO letztlich die Alternative zwischen humanitärer Hilfe und militärischer Intervention auf. Das eine oder das andere. Den serbischen Eroberungsfeldzug militärisch zu stoppen hieße dann, die Versorgung der Bevölkerung Sarajevos zu gefährden oder gar einzustellen. Die Versorgung der Hauptstadt militärisch zu erzwingen würde weitere Kampfeinsätze von noch mehr Blauhelmen bedeuten. Die UNO sitzt also in der Klemme. Und der gewiefte Taktiker Karadžić wird dies mindestens so geschickt auszunützen verstehen wie die monatelange Unentschlossenheit der „internationalen Gemeinschaft“. Die Verschärfung der Sanktionen wird daran vorerst nichts ändern. Thomas Schmid
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