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Sensationeller FundBremen wieder legal

In Kalifornien ist die „Kundige Rulle“ aufgetaucht, Bremens verschollenes Gesetzwerk von 1489, das die Bier-Einfuhr aus Hamburg verbietet.

Kundige erkennen in dieser Schrift die Rulle von 1489 Bild: Jan Zier

BREMEN taz | "Auch soll niemand an der Balge bauen. Wer es dennoch tut, dessen Haus wird abgerissen." Als Konrad Elmshäuser vor wenigen Tagen diese Sätze las, war er elektrisiert. Nicht, weil er am mittlerweile zugeschütteten Nebenarm der Weser, der im Mittelalter als Hafen diente, ein Haus gebaut hätte. Sondern, weil dem Direktor des Bremer Staatsarchivs schlagartig klar wurde, dass er tatsächlich die „Kundige Rulle“ vor sich hatte: Bremens verschollen geglaubte Gesetzessammlung von 1489.

Zumindest hatte Elmshäuser Fotos vor sich, auf denen Textteile der fast sieben Meter langen Pergamentrolle zu entziffern waren. Sie kamen aus Kalifornien, wo die seit dem Ende des Zeiten Weltkriegs verschollene „Rulle“ – das mittelniederdeutsche Wort für Rolle – unter noch nicht ganz aufgeklärten Umständen wieder auftauchte.

Aus 14 ungegerbten Tierhäuten

Die „Kundige Rulle“ gehörte zu den Archivalien, die 1942 in einen Salzstock bei Bernburg an der Saale ausgelagert worden waren. Bernburg war zunächst von den West-Alliierten besetzt worden. Von dort hat sie eventuell ein US-Soldat als Kriegstrophäe mit nach Hause genommen.

Gestern entrollte Bürgermeister Jens Böhrnsen das aus 14 ungegerbten Tierhäuten zusammen genähte Dokument feierlich im Rathaus. Als Jurist weiß er dessen Relevanz für alle Bereiche des Bremer Rechts – von den Einbürgerungsbedingungen über das Baurecht bis zum einzig zugelassenen Verkaufsort für „fette Heringe“ (am Roland) – sehr zu schätzen.

Die praktisch mit der „Kundigen Rulle“ einhergehenden Anforderungen allerdings weniger: Einmal im Jahr, jeweils drei Wochen vor Ostern, hatten seine Amtsvorgänger die 225 aufgelisteten Gesetze öffentlich zu verlesen.

Dieses Prozedere galt bis 1756. Dann wurde es abgeschafft, weil „bei der Verlesung allerhand Unfug einriss“, wie der Bremer Historiker Herbert Schwarzwälder schreibt. Es sei „mehr zu einer Volksbelustigung als zu einem Rechtsakt“ geworden, bestätigt Staatsarchiv-Direktor Elmshäuser. Stattdessen wurde den mittlerweile wenigstens teil-alphabetisierten Bürgern erstmals ein gedrucktes Gesetzeswerk zugänglich gemacht.

Herbe Strafen für Spottgedichte

Der Preis für den Rückkauf der Rolle, bei dem das Londoner Auktionshaus Christie’s ehrenamtlich vermittelte, ist geheim, aber offenbar eher niedrig. „Er steht in keinem Verhältnis zu dem Wert, den die Rolle für uns hat“, sagt Elmshäuser. Eine Fälschung sei ausgeschlossen – „sonst hätte uns jemand verdammt gut auf den Arm genommen“.

Hartmut Müller, der Vorvorgänger von Elmshäuser als Archivdirektor, hat in den 1980er Jahren in Moskau nach der Rolle geforscht. In diesem Fall war das die falsche Himmelsrichtung, Müller erinnert sich noch gut an die damalige Enttäuschung. Doch er ist sich sicher, dass in den verschiedenen SU-Nachfolgestaaten durchaus noch verlorene Bremer Dokumente liegen könnten – etwa das legendäre Barbarossa-Diplom von 1186, das Bremen erstmals städtische Freiheiten garantierte.

Diese Dokumente sind Meilensteine in der Entwicklung Bremens zur autonomen Kommune. Zugleich sind sie, besonders im Fall der „Kundigen Rulle“, chronologisch angeordnete Sammelsurien, die spannende sozialgeschichtliche Einblicke ermöglichen – und den Anspruch des Rates, dem Rechtsvorgänger des heutigen Senats, deutlich machen, in alle Lebensbereiche hineinzuregieren. Die Rolle beginnt in ihrem Artikel 1 mit der Androhung, dass jeder, der Versammlungen gegen den Rat organisiere, diesem „mit lyff unde gudt“ verfalle.

Verboten wird ferner das Verfassen von Spottgedichten jeder Art, insbesondere auf „hohe Herren und Iunckfrouwen“. Wer zuwiderhandelt, soll so bestraft werden, „dass er sich in Zukunft hüten wird“. Von Artikel 28 hingegen würde man sich wünschen, dass er auch heute noch gelte: Er verbietet kategorisch das Errichten jedweder Bauten auf dem Stadtwerder.

Sex in den Nächten vor kirchlichen Feiertagen wird mit Gefängnis bestraft, manche Import-Beschränkung hingegen ist nachvollziehbar: „Hamborger Beer“ darf „wedder to water noch to lande“ eingeführt werden. Andernfalls drohen zehn Mark Strafe.

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