■ Senat streitet weiter mit Adass: Überforderte Gerichte
Als die Bundesrepublik und die Jewish Claims Conference 1952 das Luxemburger Akommen über „Wiedergutmachungszahlungen“ unterschrieben, waren sie sich in einem einig. Die Vernichtung jüdischen Lebens war so endgültig, daß sich jeder Gedanke an eine Fortsetzung jüdischer Traditionen von vorneherein verbot. Die Claims Conference hatte sich damals nur widerwillig dem Wunsch deutscher Juden gebeugt, mit einem Teil der „Entschädigungszahlungen“ einen „Neubeginn“ in der Bundesrepublik zu ermöglichen. Damit dieser Neubeginn nicht durch die traditionelle Differenzierung in liberale, reformierte, orthodoxe und ultraorthodoxe Gemeinden finanziell gefährdet wird, entschieden sich die Funktionäre für eine Einheitsgemeinde. Eine damals nachvollziehbare und vor allem praktische Entscheidung und ein Postulat.
Aber das war 1952. Inzwischen hat sich das Bild und auch das Selbstverständnis gewandelt. Das Wort „Neubeginn“ oder „Neugründung“ ist keine historische Posititionsbestimmung mehr. Die orthodoxe Gemeinde Adass Jisroel nimmt für sich in Anspruch, keine Neugründung zu sein, sondern eine Fortsetzung der 1885 anerkannten Körperschaft des öffentlichen Rechts. Wer dies nicht akzeptiere, billige die Unrechtsgesetze der Nazis nachträglich. Eigentlich also ein sehr wichtiger Streit. Fatal ist nur, daß darüber deutsche Gerichte über den Umweg Körperschaftsrecht entscheiden müssen. Die erste Instanz gab Adass recht und argumentierte dabei moralisch und nicht juristisch. Aber die Richter formulierten ihre Entscheidung so weich, daß sie zum Einfallstor für alle möglichen ehemaligen Körperschaften werden könnte. Mit der eigentlichen Frage aber, Diskontinuität oder Neugründung, muß jedes deutsche Gericht überfordert sein, zumal im Kern die Frage der Einheitsgemeinde auf dem Prüfstand steht. Aber muß das ausgerechnet auf Antrag des Senats geschehen? Anita Kugler
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen