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Selbstbedienung an der Kasse

■ Supermärkte testen neues System: Kunden sollen ihre Waren selbst durch die Kasse schieben / Kritik am "unkomplizierten" System bei Angestellten und KundInnen

„Wo bleibt der Grundsatz ,Der Kunde ist König‘? Wenn ich meine 140 Mark ausgebe, erwarte ich doch, daß der Service inbegriffen ist!“ sagt der Mann, der gerade die „Selbstscanning-Kasse“ des Reichelt-Marktes an der Hasenheide in Neukölln mit seinem vollgepackten Einkaufswagen passiert hat. Unter „Service“ versteht er offenbar das Abkassieren seiner Waren durch das Personal. Das aber sollen die KundInnen selbst übernehmen: Nach der Selbstbedienung im Käseregal, an der Tankstelle und in der Kantine ist die Mithilfe der Menschen nun auch an der Supermarktkasse gefordert.

Die Selbstbedienungskasse ist ein Testprojekt der Otto Reichelt AG, die in zwei Filialen in Neukölln und Marienfelde fünf Monate lang ausprobieren will, ob das neue Kassensystem effizienter ist als herkömmliche Kassentische. Bei den Testkassen muß der Kunde die Waren selbst mit dem Strichcode an einem Scanner vorbeiziehen. Auf einem Monitor erscheint der Preis, dann kündigt die Kasse per „Piep“ an, daß sie verstanden hat. Die KassiererInnen wiederum sitzen nicht mehr an einer Kasse, sondern zwischen zwei Förderbändern. Sie achten darauf, daß die KundInnen am linken und am rechten Band beim Scannen nicht schummeln. Ein Monitor zeigt die vorbeiziehenden Waren an – per Knopfdruck überwacht er das andere Band. Die KundInnen werden auf das neue Zeitalter beim Shopping durch Flugblätter vorbereitet: „Das System ist unkompliziert, macht Spaß und ist leicht zu bedienen“, heißt es da.

Die KassiererInnen in der Hasenheide sind da anderer Meinung. „Das ist ein umständliches Verfahren“, sagt die Frau an der Selbstbedienungskasse, die ihren Namen nicht nennen will. „Für uns wird die Arbeit nicht, wie angekündigt, leichter, sondern das Gegenteil ist der Fall. Wir müssen gleichzeitig auf den Monitor, in den Einkaufswagen und auf das Band schauen und nachher per Kassenbon eventuell das Ganze vergleichen. Wenn dann ein Strichcode beschädigt ist, geht alles noch viel langsamer voran“, sagt sie. Sie hat es dann auch eilig, die Kasse zu schließen, da es ziemlich anstrengend sei, über eine bestimmte Zeitspanne hinaus hier zu sitzen. Deshalb haben die KassiererInnen einstimmig beschlossen, sich mehrmals am Tag gegenseitig abzulösen. „Die Selbstbedienungskasse ist keine so tolle Idee, und ich glaube auch nicht, daß sie sich bewähren wird.“

In der Zentrale von Reichelt dagegen will man keine Prognosen abgeben. Die ganze Anlage sei erst vor einigen Wochen installiert worden, meint Frau Wage von der Pressestelle. „Es ist ein Test, um die Kassiererinnen zu entlasten und die ganze Prozedur an der Kasse zu verschnellern“, heißt es: Die Absichten seien einfach kunden- und personalfreundlich.

Da ist Manfred Birkhahn von der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV) ganz anderer Meinung. „Fakt ist, daß die Zahl der Kassiererinnen dadurch halbiert wird. Im Handel ist das Kosten-Nutzen-Denken wegweisend, das heißt, es wird an allen möglichen Stellen gespart.“ Noch seien durch das neue System keine Entlassungen gemeldet, aber wenn sich die Selbstbedienungskasse als erfolgreich entpuppe, würden die nicht ausbleiben.

Bislang jedenfalls wirken die neuen Kassen eher abschreckend, viele gehen zu den normalen Schaltern. „Ich habe mich hier nur angestellt, weil die Kasse leer war“, bemerkt eine Kundin. „Die Kassiererin tut mir wirklich leid. Sie ist viel gestreßter als sonst. Ich weiß auch nicht, was man sich dabei gedacht hat, dieses System einzuführen, wollen die denn die Kassiererinnen auf die Straße setzen?“ Zonya Dengi

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