: Selbst Teil der „Gewissheitswelt“
betr.: „Die ewigen Rechthaber“, taz vom 6. 9. 06
Im Glashaus sitzen und mit Steinen werfen ist keine Kunst. Ein Glashaus aufbauen und es zugleich mit Steinen zusammenschmeißen, dieses Kunststück bringt Harald Welzer in seinem Grass-Artikel fertig.
Was wirft er Grass und seiner Generation vor? „Distanzlosigkeit sich selbst gegenüber, die eine Anerkennung dessen, was anderen angetan wurde […], nie im Sinn und, vor allem, nie im Gefühl gehabt hat. Ein Habitus des Immer-recht-Habens, der Larmoyanz, der vollständigen Unfähigkeit zur Ambivalenz, frei von jeder Selbstironie.“ Mühelos lässt sich seine Aburteilung an ihm selbst exekutieren. Denn wo zeigt Welzer Distanz gegenüber der Selbstgerechtigkeit, mit der er eine ganze Generation in die Pfanne haut? Wo spürt man in seinem Artikel Selbstironie oder nur Ambivalenz gegenüber einer, wie er sie nennt, „Gewissheitswelt“, von der er so tut, als sei es nicht seine – und die er doch zugleich mit seiner Anklage in Anspruch nimmt?
Man mag zu Grass’ spätem Bekenntnis stehen, wie man will – dass seine Kritik an bundesrepublikanischen Missständen berechtigt war und daher nicht im Nachhinein an Bedeutung verloren hat, das kann man gar nicht in Frage stellen. In die Reihe von spät berufenen „ewigen Rechthabern“, die sich trotzdem darum bemühen, reiht sich der Moraliker Welzer ein. Und das ist nicht mehr lächerlich, das ist, wenn nicht opportunistisch, so doch fahrlässig gedankenlos.
PETER WITT, Düsseldorf