piwik no script img

Selbst Dollar in der Super-Inflation

■ In Argentinien ist nicht einmal mehr auf die US-Währung Verlaß/ Preise höher als in den Nord-Metropolen

Buenos Aires (afp/taz) — Argentinien, das Land, in dem in den letzten Jahren ein Wirtschaftssanierungsplan nach dem anderen Schiffbruch erlitt und die tatsächliche Entwicklung immer wieder die ökonomischen Theorien Lügen strafte, hat einen neuen Spitzenplatz errungen. Die Superinflation hat inzwischen auch beim Dollar durchgeschlagen.

Innerhalb eines Jahres änderte sich die Situation für die argentinischen VerbraucherInnen radikal: Konnten sie noch vor einem Jahr für die US-Währung so billig wie kaum sonstwo auf der Welt einkaufen, so bekommen sie heute dafür nicht mehr als in den Hauptstädten Europas — und bei vielen Waren inzwischen sogar wesentlich weniger. Der Besitz von Dollars war eines der wenigen Mittel, sich überhaupt vor dem Verfall der Inlandswährung zu schützen — sofern man sich den Kauf der Devise noch leisten konnte.

Vor einem Jahr kostete ein Farbfernseher 150 Dollar (damals 250 Mark), heute gehen die Preise für die gleichen Geräte über 800 Dollar hinaus (1.250 Mark). Wer ihn denn braucht: Ein Fuchspelz für Damen war 1989 noch für maßvolle 200 Dollar zu haben, ein Jahr später müssen für das „Schmuckstück“ fast 1.000 Dollar auf den Tisch gelegt werden. Ein Abendessen mit gutem Wein für zwei Personen in einem Restaurant mittlerer Qualität verachtfachte seinen Preis gar, statt damals 15 beträgt der Preis heute 120 Dollar.

Im selben Zeitraum schlug sich die ungewöhnliche Inflation der „lechugas“ oder „Kohlköpfe“, wie die Dollars wegen ihrer grünweißen Farbe am Rio de la Plata heißen, auch auf die Löhne nieder — allerdings in geringerem Umfang, da das Mindesteinkommen per Gesetz von 40 auf 130 Dollar angehoben wurde.

Das eigenartige Phänomen des Kaufkraftverlusts der US-Währung hat eine Erklärung: die interne Inflation der argentinischen Australes. Seit Amtsantritt des Präsidenten Carlos Menem im Juli 1989 akkumulierte sich die interne Inflation auf 8.440 Prozent, in derselben Zeit ging aber der Dollarkurs nur um 950 Prozent hoch. Dieses Auseinanderklaffen der Entwicklungen wurde ab Februar noch krasser. In diesem Monat betrug die interne Inflation 317 Prozent, während sich die Dollar-Entwicklung mit 6,1 Prozent in sehr maßvollen Grenzen hielt.

Nach dem Urteil von Spezialisten haben mehrere Faktoren diese Entwicklung beeinflußt. Der wichtigste sei ein Handelsüberschuß von neun Prozent des Bruttosozialprodukts (7 Mrd. Dollar) bei gleichzeitig rezessivem Inlandsmarkt. Dieser wiederum hatte seine Ursache in dem enormen Mangel an Zahlungsmitteln aufgrund der staatlichen Austeritätspolitik. Das Ergebnis ist eine Marktsättigung bei den Devisen, ohne daß dem ausländischen Geld entsprechende Werte in argentinischen Australes gegenüberstünden.

Staatspräsident Menem hat indes gegenüber Wirtschaftsexperten wie dem Zentralbankchef abgestritten, daß es einen „Rückstand bei der Börsennotierung des Dollars“ gebe. Er betonte: Die gegenwärtige Parität sei „die exakt richtige“. Der Austral habe an Wert gewonnen. „Zunächst eine Währung ohne Wert und Ansehen, ist er Stückchen für Stückchen kräftiger geworden.“ Menem baut darauf, daß „die Preise runtergehen“, wenn der Dollar den gegenwärtigen Kurs hält.

Unterdessen zahlen die ArgentinierInnen mit Gehältern wie in der Dritten Welt (150 Dollar für eine Lehrerin, 250 Dollar für Arbeiter, 500 Dollar für Regierungsangestellte und 2.000 Dollar für Geschäftsführer) bei Dienstleistungen und Waren mit „Preisen wie in der Ersten Welt“. Die Wochenzeitung 'Noticias‘ stellte in ihrer jüngsten Ausgabe eine Reihe interessanter Preisvergleiche zwischen den nördlichen Metropolen und der argentinischen Hauptstadt an. Die Automiete für einen Tag kostet in Buenos Aires 106 Dollar, in New York, Paris und Madrid schwanken die Preise zwischen 35 und 73 Dollar. Ein Videorecorder kostet 900 Dollar (knapp 1400 Mark), also etwas mehr als in Paris oder Rom und das Dreifache der Preise in New York.

Ein Wagen der Mittelklasse ist in Argentinien nicht unter 20.000 Dollar zu bekommen, was 30 bis 60 Prozent mehr sind als in Europa. Auch bei Konsumgütern wie Schuhen und Whiskey sind alte argentinische Preisvorteile längst dahin.

„Arm dran“ sind jetzt auch die Argentinier, die sich in Dollar verschuldet haben. Zum Beispiel Graciela, eine Doktorin der Wirtschaftswissenschaften, der im „unberechenbaren Argentinien“ sogar ihre Spezialkenntnisse nichts nützten. 1988 habe sie eine 40-Quadratmeter-Wohnung für 13.000 Dollar erworben, berichtet die junge berufstätige Frau. Neben 5.000 Dollar Erspartem finanzierte sie den Immobilienkauf mit einem staatlichen Hypothekenkredit. „Zwei Jahre später, in denen ich brav meine monatlichen Kreditraten gezahlt habe, schulde ich der Bank noch 25.000 Dollar. Wenn ich das Appartement verkaufe, kassiere ich günstigstenfalls 18.000 Dollar. Dann hätte ich alles verloren und immer noch 7.000 Dollar Schulden.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen