Seite an Seite mit Rechtsextremen: Ratzinger in der Aula
In einem Sammelband mit "nationalen" Texten sind Überlegungen des heutigen Papstes zum Thema "Freiheit" nachgedruckt. Distanziert hat er sich bis heute nicht. Warum?
Kardinal Joseph Ratzinger hatte vor zehn Jahren schon keine Scheu vor der extremen Rechten. Ein Aufsatz aus seiner Feder findet sich nämlich in einem Kompendium zum Jahr 1848, welcher als Autoren so ziemlich alles versammelte, was sich damals hart an der Grenze zum Verbotsgesetz bewegte.
"1848 - Erbe und Auftrag" ist der harmlose Titel des Bandes, der beim bekannt rechtsextremen Aula-Verlag in Graz erschien und beim einschlägigen Enos-Internet-Versand ("national-nordisch-modern") beworben wird: "Neben den Professoren Girtler, Höbelt, Reimann kommt in diesem Sammelband auch Kardinal Joseph Ratzinger, nunmehr Benedikt XVI., zu Wort. Er verfasste einen Beitrag über Freiheit und Wahrheit, in dem er eine mutige Demokratiekritik äußerte und bemerkenswerte Fragen aufwarf, etwa zu den Wahlen, der freien Meinungsäußerung und der alltäglichen Manipulation durch mächtige Medien, Oligarchen und Interessensverbände."
Das Buch, so das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands, "stellt einen publizistischen Höhepunkt in den Instrumentalisierungsversuchen der Revolution von 1848 seitens deutsch-österreichischer Rechtsextremisten dar". Als Herausgeber firmierten Aula-"Schriftleiter" Otto Scrinzi und Jürgen Schwab.
Der heute 91-jährige Otto Scrinzi, ehemals SA-Sturmführer und NSDAP-Mitglied, fand seine neue politische Heimat in der FPÖ.
Der Burschenschafter Jürgen Schwab war von 2000 bis 2004 Mitglied der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) und schreibt Gastkolumnen für das rechtsextreme Störtebeker-Netz und Altermedia. Seine Attacken gegen den deutschen Parlamentarismus alarmierten Verfassungsschützer.
In seinem Beitrag "Die Meinungsfreiheit im Vormärz und heute" beschäftigt sich Schwab mit dem, was er als Zensur durch die "demokratische Meinungsdiktatur" empfindet: vom deutschen Verfassungsschutz bis zum Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands (DÖW), die in ihren denunziatorischen ,Berichten' politisch Andersdenkende - vornehmlich nationaler Denkweise - an den Pranger gutmenschlicher Öffentlichkeit stellen".
Das NS-Verbotsgesetz sieht Schwab naturgemäß als Werkzeug der Zensur, wobei die politische Zensur in Österreich, die "alles unter Strafe stellt, was großdeutsche Propaganda ist oder etwa nach staatlichem ,Anschluss' an die nördlichen deutschen Schwestern und Brüder riecht", unter Strafe stellt.
In ihrem Vorwort sichern sich die Herausgeber ab: "Soweit dem Buche eine Tendenz angelastet werden sollte, können hierfür die einzelnen Mitarbeiter nicht in Anspruch genommen werden." Joseph Ratzinger, damals Kardinal und Präfekt der vatikanischen Glaubenskongregation, ist also aus dem Schneider. Sein Aufsatz "Freiheit und Wahrheit" war nicht für das deutschnationale Machwerk geschrieben, sondern stammt aus dem Jahr 1995.
In einer relativ unspektakulären Reflexion über die Begriffe Freiheit und Wahrheit, in der er - für einen katholischen Theologen nicht ganz unerwartet - die Marxschen Vorstellungen von der Freiheit in der kommunistischen Gesellschaft, nämlich "das Recht und die Möglichkeit, alles zu tun, was wir uns gerade wünschen", geißelt, stellt er auch die Frage, ob in der Demokratie das Wohl der Allgemeinheit genügend zum Zug komme. Und er erkennt eine "neue Oligarchie" von Meinungsmachern: "Die Grausamkeit dieser Oligarchie, ihre Möglichkeit öffentlicher Hinrichtungen, ist hinlänglich bekannt. Wer sich ihr in den Weg stellen möchte, ist Feind der Freiheit, weil er ja die freie Meinungsäußerung behindert (…) Wer könnte an der Macht von Interessen zweifeln, deren schmutzige Hände immer häufiger sichtbar werden? Und überhaupt: Ist das System von Mehrheit und Minderheit wirklich ein System der Freiheit? (…)"
Damit trifft sich der Pontifex mit dem Schwabschen Hader über die Zensur durch Verbotsgesetz und Political Correctness. Und er dient dem mehrfach wegen Volksverhetzung und Holocaustleugnung verurteilten Antisemiten und RAF-Gründungsmitglied Horst Mahler als Kronzeuge, wenn dieser gegen die Justiz vom Leder zieht. In einer Polemik anlässlich des Prozesses gegen den bekannten Revisionisten Ernst Zündel wegen "Holocaustleugnung" im Jahre 2006 zitierte Mahler obigen Satz aus dem Ratzinger-Aufsatz, um seine Judenhetze mit päpstlichem Segen zu adeln: "Die Weltjudenheit hat die Möglichkeit erspäht, mit der Holocaustlüge ihr Hintergrund-Weltreich und den Staat Israel zu gründen und gegen Einspruch abzusichern. Sie weiß aus Erfahrung, dass man fast alle Menschen dazu bringen kann, fast alles zu glauben, wenn es gelingt, ihnen zu suggerieren, dass fast alle anderen es glauben. Der Holocaust wurde durch die jüdische Medienmacht zum suggerierten Glauben fast aller Menschen gemacht."
Nun kann sich kein Autor aussuchen, von wem und in welchem Zusammenhang er zitiert wird. Doch Ratzinger, der die politischen Verhältnisse in Österreich gut genug kennt, musste wissen, in welche Gesellschaft er sich begab, als er seinen Aufsatz für das Aula-Machwerk zur Verfügung stellte. Es sei denn, die Herausgeber, die sich bei "Seiner Emminenz" (sic!) für die Überlassung des Textes bedanken, gingen mit dem Urheberrecht genauso schlampig um wie mit der Orthografie. Dann hätte Ratzinger aber, wie der Grünen-Sozialsprecher Karl Öllinger bemerkt, klagen oder sich zumindest öffentlich distanzieren können. Soweit bekannt, hat er das nicht getan.
Anmerkung der Redaktion zu diversen Leserkommentaren:
Der Autor des Beitrags ist keineswegs protestantischer Preusse, wie ein Leserbriefschreiber vermutet. Er behauptet auch nicht, dass Ratzinger seinen Aufsatz eigens für das deutschnationale Machwerk verfasst hätte, sondern weist darauf hin, dass dieser erstens drei Jahre vorher schon erschienen ist und zweitens keine rechtsradikalen Thesen enthält. Er zeigt lediglich auf, dass man, wenn man in solchen Publikationen abgedruckt wird, Gefahr läuft, vereinnahmt zu werden. Und bis zur Aussendung von Leitenberger, der ja kein Sprecher des Vatikans ist, sind auch keine Distanzierungen des Papstes von der Veröffentlichung im Band des Aula-Verlags bekannt.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Jugendliche in Deutschland
Rechtssein zum Dazugehören
Jens Bisky über historische Vergleiche
Wie Weimar ist die Gegenwart?
Krieg und Rüstung
Klingelnde Kassen
Denkwürdige Sicherheitskonferenz
Europa braucht jetzt Alternativen zu den USA
„Edgy sein“ im Wahlkampf
Wenn eine Wahl als Tanz am Abgrund verkauft wird