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■ Seit dem BSE-Streit sind die Briten national gestimmt. Aber auch die EU hat keinen Grund zur SelbstzufriedenheitJäger des verlorenen Stolzes

So gewinnt man keinen Krieg. Die britische Regierung mag die Rindfleisch-Einigung beim EU- Gipfel in Florenz als Sieg darstellen: London steht auch nach dieser Vereinbarung am selben Fleck wie vorher. Es muß den Rinderwahn zur Zufriedenheit europäischer Prüfer bekämpft haben, bevor die EU ihre Handelsbeschränkungen lockert. Schon vorher aber gibt Major seine Blockade der EU-Politik und damit sein größtes Druckmittel auf. Eine „Erniedrigung“ für Großbritannien schimpft das der britische Oppositionsführer Tony Blair, der sich derzeit beim Überbieten patriotischer Gefühle für nichts zu schade ist.

Margaret Thatcher hatte es da leichter. Als ihr 1982, ähnlich wie heute Major, eine horrende Wahlniederlage drohte, schickte die Eiserne Lady die Kriegsmarine zu den Falkland-Inseln, die die Argentinier praktischerweise gerade besetzt hatten. Es ging ganz schnell: Die britische Armee gewann. Argentinien verlor. Ein Jahr später, bei den nächsten Wahlen, triumphierte Thatcher.

John Major hat keine Möglichkeit, den Rinderkrieg gegen die EU – den er selbst in eine Reihe mit dem Falkland-Krieg gestellt hat – so einfach zu gewinnen. Er kann ja schlecht Kriegsschiffe voller verrückter Kühe unter Feuerschutz an den Stränden Europas landen. Er muß sich auf Kompromisse einlassen – windelweiche dazu, ohne feste Fristen und Termine. Innenpolitisches Kapital kann der angeschlagene Premier aus der Rinderkrise so nicht schlagen.

Aber Europa kann sich deshalb jetzt nicht zufrieden zurücklehnen. Die Rinderkrise hat die britische Politik geeint – gegen Europa. Im Eintreten für das „nationale Interesse“ entpuppten sich Major und Blair als unzertrennliche Verbündete. Hätte es Wählersympathien gebracht, Major zu kritisieren und die EU zu verteidigen, hätte die Labour-Opposition es sicher versucht. Aber die Angst, als Landesverräter denunziert zu werden, überwog. Die Unnachgiebigkeit der EU – ob zu Recht oder nicht, tut nichts zur Sache – hat in London eine große Koalition geschmiedet, die auch den vorhersehbaren Machtwechsel überdauern wird. Oder erwartet Helmut Kohl, daß ein Premierminister Blair sich Direktiven aus Brüssel beugt, während die entrüstete Tory-Opposition die britische Unionsflagge schwenkt?

Der Begriff „Europa“ hat die britische Politik und Gesellschaft noch nie für sich eingenommen, sondern immer gegen sich zusammengeführt. Allein stärker zu sein als jede mögliche Kombination europäischer Mächte war die Leitlinie britischer Außenpolitik in den Zeiten vor dem Ersten Weltkrieg, als das Empire noch Großmacht war. Seitdem weiß zwar die britische Elite, daß Großbritannien das Aufkommen einer anderen europäischen Großmacht nur noch im Zusammengehen mit anderen europäischen Mächten verhindern kann. Die Gesellschaft erinnert sich aber vor allem an das Jahr 1940, als Großbritannien ganz allein, vor dem Kriegseintritt der USA und der Sowjetunion, gegen Deutschland kämpfte und bestand. Diese Zeit prägte nicht nur das Gemeinschaftsgefühl, das gerade Tony Blairs New Labour jetzt wieder neu zum Leben erwecken will. Sie war auch die Geburtsstunde der intensiven Landwirtschaft, die während des Zweiten Weltkrieges mit dem Ziel nationaler Autarkie vorangetrieben wurde. Die damals eingeführten Futter- und Zuchtmethoden führten zu der Art von Rinderhaltung, die die Entstehung des Rinderwahnsinns begünstigte und die nun, nachdem die reichlich absurde EU-Agrarpolitik sie schon ziemlich gebeutelt hat, vom Rindfleischboykott der EU plattgemacht wird. So erscheint es jedenfalls für den durchschnittlichen englischen Bauern, der nicht wahrhaben will, daß er von der britischen EU-Mitgliedschaft insgesamt eher profitiert hat, und daß BSE auch dann ein Problem wäre, wenn er sein Rindfleisch weltweit frei verkaufen dürfte.

Nicht nur Bauern und Traditionalisten machen gegen die EU mobil. Auch solche Briten, die nie eine Kuh gesehen haben und die ihrem Staat und seinen oft komplizierten Institutionen grundsätzlich mißtrauen, sehen die Lösung des BSE-Problems nicht darin, ihr Vertrauen auf eine noch kompliziertere Institution namens EU zu übertragen. In den letzten Jahren gingen viele Briten, die zur konservativen Mittelschicht gehören und sich noch nie gegen irgend etwas aufgelehnt haben, zum ersten Mal in ihrem Leben zusammen mit linken „Chaoten“ auf die Straße, um gegen den Lebendviehexport zu protestieren. Häfen wurden blockiert, die Polizei knüppelte alte Damen nieder, und in enthusiastischen grünen Kreisen war die Rede von einer neuen sozialen Bewegung. Aber auch dieser Protest richtete sich gegen den Moloch Europa, der durch seinen gemeinsamen Markt die Verladung von Nutztieren über absurd weite Entfernungen begünstigt. Nun hat der Rinderwahnsinn diese Transporte, zumindest was Rinder angeht, gestoppt. Doch das EU-Exportverbot für britisches Rindfleisch hat mit progressiver Politik nichts zu tun. Nach den jetzt geltenden EU- Richtlinien darf eine Diktatur wie Indonesien deutsche Kriegsschiffe erwerben, nicht aber britische Kühe. Gegen den Rinderwahnsinn in Großbritannien richtet das Exportverbot sowieso nichts aus. Nicht EU-Kontrollen wären da nötig, sondern die Förderung lokaler Märkte und umweltgerechter Tierhaltung – was von der EU eher behindert wird.

Das eigentliche Ziel – Ernährungssicherheit für die Verbraucher, auch für die britischen – bringt die Florentiner Vereinbarung keinen Schritt näher. Sie zeigt höchstens den Chauvinisten im britischen Blätterwald, die jetzt „Verrat“ schreien, daß ihre Ziele unerreichbar sind. Ein Nationalismus, der unerreichbaren Zielen nachhängt, birgt jedoch langfristig größere Gefahren als einer, der sich nach einem schnellen Sieg wie 1982 auf den Falkland-Inseln wieder verflüchtigen kann. Weil die europäische Politik den BSE-Erreger auf die britische Insel verbannen will, ist die britische Politik jetzt mit einem Virus enttäuschten Stolzes infiziert, der viele Modernisierungshoffnungen zunichte machen kann. Dominic Johnson

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